Versiegelungskarte Hamburg

BUND fordert Moratorium für freifinanzierten Wohnungsbau und eine Netto-Null-Strategie gegen Flächenfraß

BUND: Stadtentwicklung muss neue Wege gehen

Anlässlich der laufenden Verhandlungen über das „Bündnis für das Wohnen“ mit der Hamburger Wohnungswirtschaft und den „Vertrag für Hamburg – Wohnungsneubau“ mit den Bezirken fordert der BUND Hamburg, das Ziel, pauschal 10.000 neue Wohnungen pro Jahr zu genehmigen, aufzugeben. Das bisherige Tempo beim Wohnungsneubau würde die zunehmende Flächenversiegelung in Hamburg fortschreiben mit fatalen Folgen für den Naturschutz, den Biotopverbund und die Lebensqualität. Die Stadtentwicklung müsse neu gedacht werden.

„Natur- und Artenschutz dürfen nicht länger der Bauwut untergeordnet werden. 10.000 Wohnungen im Jahr sind in einem Stadtstaat mit begrenzter Fläche verantwortungslos“, empört sich Christiane Blömeke, Landesvorsitzende des BUND Hamburg. Klimaschutz, Artenvielfalt und nicht zuletzt die Lebensqualität für die Bürgerinnen und Bürger bräuchten Grünflächen. Parks allein genügten nicht.

Der BUND sieht die Möglichkeiten für zusätzlichen Wohnungsbau ohne Inanspruchnahme von Grünflächen noch nicht ausgereizt. So steckten der Wohnungsbau an Hauptstraßen (Magistralen) und die Aufstockung bestehender Gebäude noch in den Kinderschuhen. „Eine einfache Neuauflage der Verträge zum Wohnungsbau ist falsch – ein angespannter Wohnungsmarkt ist kein Freibrief für ein Bauen um jeden Preis. Im Gegenteil, das Ziel einer nachhaltigen Stadtentwicklung, die Klimakrise und das Artensterben benötigen jetzt einen Kurswechsel im Wohnungsbau“, so Christiane Blömeke.

Der BUND fordert eine Aussetzung der Neubaugenehmigungen im freifinanzierten Wohnungsbau. Seit 2011 sind mehr als 106.000 Wohnungen in Hamburg genehmigt worden. Davon wurden bis Ende 2020 aber erst rund 70.000 Wohnungen gebaut. Diese Genehmigungen müssten zunächst abgearbeitet werden, weitere müssten auf Basis eines „Netto-Null-Konzepts“ entwickelt werden. Ein solches beinhalte eine Flächenkreislaufwirtschaft, die Neubauten zwar nicht verhindert, aber vorsieht, dass bei einer Bebauung auf Freiflächen Areale an anderer Stelle wieder entsiegelt werden. Nur so sei auf Dauer ein grünes, attraktives Hamburg mit den nötigen Funktionen für den Biotopverbund und die Naherholung zu sichern. Außerdem fehle eine planerische Gesamtsteuerung der Stadt, da der Flächennutzungsplan aus 1997 völlig veraltet sei.

„Die aktuelle Stadtentwicklung von „Bausenatorin“ Dorothee Stapelfeldt hat keine Zukunft. Es gibt keine demokratisch legitimierte Gesamtplanung für die Stadt und alle zwei Jahre wird eine Fläche von der Größe der Außenalster überplant. Europa und auch die Bundesregierung bekennen sich bei der Flächennutzung zu einer Kreislaufwirtschaft, nur Hamburg hat keinen Plan“, so Manfred Braasch, Landesgeschäftsführer des BUND.

Aus Sicht des Umweltverbands braucht die Hansestadt dringend ein neues Leitbild, das den Problemen der Zukunft gerecht wird. Diese hießen Klimawandel, Ressourcenverbrauch und Flächenversiegelung, andere Städte seien dabei deutlich fortschrittlicher. So gebe die Metropole Paris das Leitbild einer 15-Minuten-Stadt vor, in der alle wichtigen Funktionen, also auch die Naherholung, in kurzer Distanz erreichbar sein sollen. Kopenhagen wolle bis 2025 klimaneutral sein und Barcelona entwickele sogenannte Superblocks, in denen mehrere Häuserblocks zu nachhaltigen und grünen Quartieren zusammengefasst werden.

„Hamburgs Stadtentwicklung bleibt deutlich hinter ihren Möglichkeiten zurück. Zukunftsfähige Konzepte für bezahlbaren Wohnraum, eine gemeinwohlorientierte Bodenpolitik sowie eine flächensparende und innovative Mobilitätswende gibt es nicht“, bedauert Prof. Jörg Knieling, Vorstandsmitglied des BUND Hamburg. Das 10.000-Wohnungen-Dogma dürfe keinesfalls fortgeschrieben werden, da es wirklich guten und kreativen Ansätzen einer qualitätsvollen Stadtentwicklung im Wege stehe.

Hintergrundinformationen:

Entschließung des Europäischen Parlaments zum Bodenschutz vom 28.04.2021

Flächenkreislaufwirtschaft (Netto-Null) siehe Punkt 15:

https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/TA-9-2021-0143_DE.html

Notwendigkeit des Flächenschutzes und Netto-Null-Ziel der Bundesregierung bis 2050

Wissenschaftlicher Dienst, Seite 4, Punkt 2:

wd-7-163-17-pdf-data.pdf

Bereitstellung von Siedlungsflächen von knapp 70 ha für 10.000 WE im Bündnis für Wohnen

Entwurf – Vereinbarungstext – Bündnis für das Wohnen Hamburg 2015-2020, Seite 8 (6,7 ha/1.000 WE)

Bilanz Wohnungsbau in Hamburg seit 2011:

Wohnungspolitik des Hamburger Senats – hamburg.de

 

Ein Kommentar

  1. Klaus Wicher, Hamburger Vorsitzender Sozialverband Deutschland (SoVD), ist fassungslos über die jüngsten Forderungen des Hamburger BUND, in der Stadt den Wohnungsbau zu stoppen. Außerdem erteilten die Naturschützer pressewirksam der Fortsetzung des Bündnisses für das Wohnen eine Absage. „Eine Aussage, die absolut blauäugig und komplett an der Realität vorbei ist“, stellt Wicher klar.

    „Die Forderung nach dem Stopp des Wohnungsbaus ist absolut unsozial“

    Hamburg, 7. Mai 2021. „Die Schaffung bezahlbarer Wohnungen ist die soziale Frage unserer Zeit. Eine Forderung nach einem Baustopp, wie sie der BUND stellt, wird die Probleme für die Menschen verschärfen, die verzweifelt nach bezahlbaren Wohnungen in Hamburg suchen. Die Forderung nach nachhaltigem Bauen ist richtig, sie muss aber ganz eng mit der Lösung der sozialen Frage verbunden sein. Wer dies nicht macht, verliert die Realität aus dem Blick“, sagt Wicher zu den Forderungen der Naturschützer.

    Für ihn eine Provokation ohne Substanz: „Ich frage den BUND: Wie wollen Sie ihre Ziele von Klima- und Naturschutz erreichen, wenn Sie die Menschen nicht mitnehmen? Sehen Sie nicht, was auf dem Wohnungsmarkt los ist? Sehen Sie nicht die Schlangen von verzweifelt Suchenden, wenn eine Wohnungsbesichtigung ansteht? Fragen Sie doch mal diejenigen, die in Hamburg in sozial schwachen Stadtteilen auf engem Raum zusammenleben, wie sie es finden, dass in Zukunft viel zu wenig oder keine neuen Sozialwohnungen mehr gebaut werden sollen. Die Fachstellen der Wohnungshilfe und die Frauenhäuser können die Nachfragen nach Sozialwohnungen schon seit längerer Zeit nicht erfüllen.“

    Wicher empört vor allem, dass der BUND die sozialen Konsequenzen eines rigorosen Baustopps offenbar billigend in Kauf nimmt: „Dies würde vor allem Menschen treffen, die auf günstige Mieten angewiesen sind. Die Ankündigung eines Baustopps würde zu noch mehr Wohnungsmangel und steigenden Preisen führen. Das müssten dann diejenigen ausbaden, die arm sind und mit hohen Mieten kämpfen müssen. Wer wohlhabend ist, wird das weitaus weniger zu spüren bekommen.“

    Der SoVD Landeschef ist sich sicher: „Hamburg wächst. Es muss mehr, statt weniger gebaut werden! Mindestens 5.000 Sozialwohnungen pro Jahr, besser wären noch deutlich mehr. Menschen, die bis zu 50 Prozent ihres Einkommens für Miete ausgeben müssen, brauchen ein Wohnangebot, das bezahlbar ist. Denn Wohnen, bezahlbares Wohnen, ist ein Indikator dafür, wie sozial unsere Stadt wirklich ist.“ Die Armutsgefährdungsquote zeige dabei ein deutliches Bild der sozialen Lage der Menschen in der Stadt.

    Die Zahlen sprechen für sich: Innerhalb von zehn Jahren ist der Bestand an Sozialwohnungen drastisch geschrumpft und liegt heute bei rund 77.000 Wohnungen. Im Gegensatz dazu steht, dass fast jede*r Zweite in Hamburg eine Berechtigung für eine „Sozialwohnung“ bekommen könnte. Derzeit fehlen schon 30 bis 40.000 Einheiten: „Im Prinzip müsste die Stadt jedes Jahr viel mehr als 5.000 Sozialwohnungen und weitere Wohnungen im Rahmen des Bündnisses für Wohnen neu bauen, um zur Entspannung der die Lage deutlich beitragen zu können.“ Auch wird der Zuzug nach Hamburg wieder deutlich ansteigen, wenn die Probleme mit der Corona-Pandemie im Griff sind. Hamburg ist und bleibt ein attraktiver Standort für viele Menschen und das soll auch so bleiben.

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