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Am 3. Juni 2025 versammelten sich Expertinnen und Experten auf der Hamburg Sustainability Conference, um ein Thema von globaler Relevanz zu diskutieren: die Bioökonomie im Spannungsfeld von Klimaschutz und nachhaltiger Entwicklung. Moderiert von Melina Walling von der Associated Press, ging es um nachhaltige Wertschöpfungsketten, biobasierte Innovationen und naturpositive Geschäftsmodelle. Doch schnell wurde klar, dass die Diskussion über die „Bioökonomie“ weit über technische oder wirtschaftliche Definitionen hinausgehen muss. Sie berührt Fragen der Gerechtigkeit, der Geschichte und der Macht – insbesondere für Länder des Globalen Südens, die reich an biologischen Ressourcen, aber oft arm an finanziellen Mitteln sind. Die Erfahrungen Brasiliens sollten den Debatten eine Richtung geben.

Das Podium vereinte wichtige Stimmen, darunter Dr. Rosalie Matondo, Ministerin für Forstwirtschaft der Republik Kongo, und Seine Exzellenz Roberto Jaguaribe, Botschafter Brasiliens in Deutschland. Ihre Anwesenheit war entscheidend, denn eine Diskussion über die Bioökonomie ohne die Perspektiven der Länder, die historisch am stärksten von der Nutzung – und Ausbeutung – biologischer Ressourcen betroffen waren und heute die reichste Biodiversität beherbergen, wäre unvollständig. Ebenfalls auf dem Podium saßen Dr. Éliane Ubalijoro, CEO von CIFOR-ICRAF, einer Organisation, die intensiv mit Gemeinschaften vor Ort arbeitet, Jukka Kantola vom World Bioeconomy Forum, und Avinash Persaud, Sonderberater für Klimawandel des Präsidenten der Interamerikanischen Entwicklungsbank. Diese vielfältige Besetzung signalisierte die Notwendigkeit, unterschiedliche Realitäten und Wissenssysteme zu berücksichtigen.

Gleich zu Beginn wurde eine zentrale Herausforderung offensichtlich: Es gibt keine allgemein anerkannte Definition der Bioökonomie. Während der Begriff an sich die Erzeugung von Ressourcen und Wohlstand durch biologische Interaktionen impliziert, ist die Ausgestaltung und wer davon profitiert, keineswegs einheitlich. Diese definitionslücke ist nicht neutral; sie kann potenziell ungleiche Machtverhältnisse widerspiegeln und ermöglichen, dass Definitionen dominieren, die den Interessen weniger, oft aus dem Globalen Norden, dienen. Die „Blitzlicht“-Runde der Experten hob diese Vielfalt hervor.

Dr. Éliane Ubalijoro von CIFOR-ICRAF bot eine Definition an, die aus einer Perspektive spricht, die die Natur und die Menschen ins Zentrum stellt: Sie beschrieb die Bioökonomie als eine Aktivität oder Lebensgrundlage, die das Naturkapital stärkt und nicht reduziert. Es handele sich nicht um eine extraktive Investition. Ihre Organisation definiert sie als die Produktion, Nutzung und Erhaltung biologischer Ressourcen einschließlich der bereitstellenden, regulierenden, unterstützenden und kulturellen Ökosystemleistungen, die eine nachhaltige und gerechte Entwicklung untermauern. Dies ist eine klare Abkehr von einer rein wirtschaftlichen oder extraktiven Sichtweise, die oft mit kolonialen Mustern der Ressourcennutzung verbunden war.

Ein wiederkehrendes und vitales Thema aus dieser Perspektive war die Integration von traditionellem und indigenem Wissen. Dr. Ubalijoro betonte die Notwendigkeit, das Beste aus traditionellem Wissen, das über Jahrtausende verfeinert wurde, mit der modernen digitalen Welt zu verbinden. Es gehe darum, diese unterschiedlichen Wissenssysteme zusammenzubringen, um die „Intelligenz“ der natürlichen Welt zu nutzen und Hüterinnen und Hüter dieser Welt zu werden. Sie hob hervor, dass dies bedeutet, Volkswirtschaften aufzubauen, die über einfache Definitionen des Kapitalismus hinausgehen und Natur-, Human- und Sozialkapital berücksichtigen, während gleichzeitig die notwendige Rentabilität für nachhaltige Lebensgrundlagen gewährleistet wird. Botschafter Jaguaribe bestätigte, dass die Gesundheitsindustrie stark auf traditionelles Wissen zurückgreife, aber die Vorteile oft nicht mit den Gemeinschaften teile, von denen dieses Wissen stammt. Dies wirft wichtige Fragen der geistigen Eigentumsrechte und gerechter Teilhabe auf.

Die Diskussion um die Rolle von Regierungen und Privatsektor beleuchtete die Notwendigkeit einer Neuausrichtung der Machtverhältnisse. Botschafter Jaguaribe argumentierte, dass Nachhaltigkeit nur nachhaltig sei, wenn sie Wohlstand generiere, und die Bioökonomie ein vielversprechendes Mittel dafür sei. Er betonte jedoch unmissverständlich, dass Regierungen durch Regulierung den Privatsektor in Richtung Nachhaltigkeit lenken müssten, da ohne den Privatsektor jede Rede von Nachhaltigkeit „nicht nachhaltig“ sei. Dies erfordere eine Kombination aus Idealismus und Pragmatismus in den Vorschriften.

Ein zentraler, kritischer Punkt, der die postkoloniale Realität schonungslos offenlegte, war die Warnung vor „Umwelt-Neokolonialismus“. Botschafter Jaguaribe beschrieb dies als die Forderung nach Nachhaltigkeit in den entwickelten Ländern, während die Entwicklung in den Entwicklungsländern behindert wird – oft durch Forderungen, die den Aufbau eigener Industrien oder die Nutzung eigener Ressourcen einschränken. Er wies auf die Ironie hin, dass Europa, das „all seine Wälder zerstört hat“, nun Nachhaltigkeit von anderen fordere. Diese Dynamik untergräbt das Potenzial der Bioökonomie als Mittel zur Armutsbekämpfung und zur Förderung von Wohlstand in den Ländern des Globalen Südens, die beides dringend benötigen.

Das Thema Finanzierung wurde als massives Hindernis identifiziert. Avinash Persaud legte die ernüchternden Zahlen vor: Entwicklungsländer (ohne China) benötigen 3 Billionen US-Dollar pro Jahr für Klima und Bioökonomie, während die weltweite Entwicklungshilfe nur 200 Milliarden Dollar beträgt und zudem sinkt. Diese immense Finanzierungslücke bedeutet, dass die Vision einer gerechten, naturpositiven Bioökonomie für viele im Globalen Süden unerreichbar bleibt, es sei denn, es werden grundlegend neue Finanzierungsstrategien entwickelt, die über traditionelle Hilfsmodelle hinausgehen. Aktuelle Märkte wie der freiwillige Kohlenstoffmarkt sind mit 2 Milliarden Dollar pro Jahr winzig im Vergleich zum Bedarf und zudem problematisch, da sie „freiwillig“ sind.

Dr. Ubalijoro hob in ihrer Beschreibung der Arbeit von CIFOR-ICRAF hervor, wie wichtig es ist, nachhaltige und integrative Wertschöpfungsketten zu entwickeln. Sie sprach über Mechanismen zur fairen Verteilung von Informationen, Vorteilen und Risiken unter Kleinbauern, Kooperativen und Geschäftspartnern. Dies ist aus einer afro-feministischen postkolonialen Sicht von zentraler Bedeutung: Es geht darum, sicherzustellen, dass die Bioökonomie nicht nur ökologisch nachhaltig ist, sondern auch soziale Gerechtigkeit fördert, Ungleichheiten beim Zugang zu Land, Finanzmitteln und Wissen angeht und Frauen sowie marginalisierte Gemeinschaften stärkt.

Die Erfahrungen aus Brasilien und Lateinamerika, sowie die Arbeit von CIFOR-ICRAF in verschiedenen Ländern, lieferten Beispiele für Praktiken, die das Potenzial der Bioökonomie zeigen, wenn sie richtig umgesetzt wird. Brasiliens Erfolg mit Bioethanol, die Bemühungen in Lateinamerika, die Emissionen aus Landnutzung und Landwirtschaft drastisch zu reduzieren, oder Initiativen wie „Amazon Forever“, die in profitable Agroforstprojekte investieren, um Wälder zu schützen und alternative Lebensgrundlagen zu schaffen, zeigen, dass Fortschritte möglich sind. CIFOR-ICRAF konzentriert sich darauf, Landwirte zu „Hütern der Natur“ zu machen und gleichzeitig ihre Lebensgrundlagen zu verbessern. Diese Beispiele unterstreichen, dass die Agentur und das Wissen der lokalen Gemeinschaften entscheidend sind.

Avinash Persauds Punkt, dass wir „ein wenig vom Kurs abgekommen“ seien, als es um die Unterstützung der Bioökonomie ging, hallte nach. Er betonte, dass die Heterogenität der Landwirtschaft – von kleinen bis zu großen Betrieben, einschließlich indigener Bevölkerungen und Afro-Nachfahren auf marginalem Land – eine inklusive Herangehensweise erfordert, die nicht auf „Einheitslösungen“ setzt. Er forderte ein stabileres, glaubwürdigeres, internationales Regelwerk für Wertschöpfungsketten, das auf einem inklusiven Verständnis aller Teile dieser Kette basiert. Dies ist unerlässlich, um sicherzustellen, dass die Anforderungen der globalen Märkte nicht auf Kosten der Schwächsten gehen oder neue Formen der Abhängigkeit schaffen.

Zusammenfassend machte die Diskussion in Hamburg deutlich, dass die Bioökonomie ein mächtiges Potenzial birgt, aber nur dann wirklich transformativ sein kann, wenn sie grundlegend gerechter und inklusiver gestaltet wird. Die Stimmen aus dem Globalen Süden, insbesondere die von Dr. Ubalijoro und Botschafter Jaguaribe, beleuchteten die Notwendigkeit, koloniale Muster der Ausbeutung aktiv zu vermeiden, die Vorteile der Bioökonomie gerecht zu verteilen, traditionelles Wissen zu würdigen und in die Praxis zu integrieren und die massiven Finanzierungslücken zu schließen, die eine eigenständige Entwicklung im Süden behindern.

Um zwischen Klimaschutz und nachhaltiger Entwicklung erfolgreich zu navigieren, bedarf es eines multilateralen Rahmens, der auf einer gemeinsamen, inklusiven Definition basiert und innovative Finanzierungsmechanismen schafft, die den enormen Bedarf decken. Die Bioökonomie darf kein neues Werkzeug für alte Ungleichheiten werden. Sie muss ein Wegweiser sein, der regenerativen Wohlstand für alle schafft, die Natur heilt und die Abhängigkeit von den Systemen überwindet, die historisch zu Ausbeutung geführt haben. Die Diskussion in Hamburg war ein wichtiger Schritt, um diese kritischen Perspektiven in den globalen Dialog einzubringen.

 


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