7. Hamburger Ratschlag: Nachhaltige Stadtentwicklung

Der Hamburger Ratschlag zur Umsetzung der UN-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung von zivilgesellschaftlichen Organisationen erarbeitet Forderungen an die Hamburger Politik, um die UN -Agenda2030 für nachhaltige Entwicklung lokal und global Wirklichkeit werden zu lassen. Gleichzeitig vermehren wir den Austausch und die Kenntnis über die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) bei Fach- und Führungskräften der gemeinnützigen Organisationen der Zivilgesellschaft, den Fachbehörden und den Parlamenten.

Die 2030-Agenda stellt einen Weltzukunftsvertrag dar, der allen Menschen ein Leben in Würde ermöglichen und dazu den Frieden und die Freiheit in einer intakten Umwelt fördern soll. Wir verstehen den ganzheitlichen Ansatz der 2030-Agenda als einen wichtigen Impuls für eine tief-greifende Transformation der Wirtschaft und Gesellschaft sowie die internationale Zusammenarbeit.

Forderungen des 7. Hamburger Ratschlag vom 15. November 2019

Dokumentation siebter Hamburger Ratschlag

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Der 7. Hamburger Ratschlag, ein Kooperationsbündnis von 20 Hamburger Nichtregierungsorganisationen zur Umsetzung der UN-Agenda 2030 hat am 15. November 2019 beraten und stellt folgen­de Forderungen an den Hamburger Senat mit der Bitte, diese mit der Umsetzung der Nachhaltigkeitsagenda in Hamburg umzusetzen:

1. Hamburger Verfassung ändern, Nachhaltigkeitsbildung fördern:
Das Nachhaltigkeitsprinzip (UN-Agenda 2030) muss Verfas­sungsrang haben, um nachhaltiges Handeln der Regierung zu erzwingen. Das Nachhaltigkeitsprinzip muss in die Hamburgische Verfassung aufgenommen werden.

2. Forderungen der Arbeitsgruppe „Gespaltene Stadt – Ungleichheit und Geschlechtergerechtigkeit“

1. Stadtentwicklung muss dazu beitragen, die Spaltung der Stadt in reiche und arme Stadtteile zu verringern und die soziale Integra­tion und Inklusion zu fördern. Dazu muss die Stadtentwicklung in reicheren Stadtgebieten vor allem bei Neubauten genutzt werden. Dabei darf nur sozialer Wohnungsbau genehmigt werden.

2. Stadtentwicklung muss bevorzugt Maßnahmen in Stadtgebieten mittleren oder unteren Niveaus finanzieren. Eine gemischte Ver­teilung von Eigentum und Mieten sowie durch Diversifikation der

Bewohner*innen ist anzustreben. Zu einer verstärkten sozialen Durchmischung sind soziale Infrastrukturmaßnahmen z.B. soziale Gesundheitsversorgung, Quartiersangebote für Senioren*innen, Familien und benachteiligte Gruppen zu verbessern.

3. Das Hamburger Stadtentwicklungsprogramm RISE ist zu be­grüßen, fortzusetzen und auszubauen. Es will zu Recht Quartiere mit besonderem Entwicklungsbedarf städtebaulich aufwerten und sozial stabilisieren. Vor allem sollte das Programm die Quartier­sentwicklung verstärken, die zum Aufbau von Kooperation in dem jeweiligen Gebiet und auch zum Abbau von Spannungen zwischen den BewohnerInnen verschiedener Herkunft, religiöser oder ethnischer Zugehörigkeit, Alter und Geschlecht beitragen.

4.
Es muss auch Programme zu Stadtteilentwicklungen zur Über­windung von Ungleichheit und Durchsetzung von intersektionaler Geschlechtergerechtigkeit in Nicht-RISE- Gebieten geben. Dabei müssen sich diese Maßnahmen an der Durchsetzung messen lassen. Zur Beurteilung müssen transparente Indikatoren zur Ver­fügung gestellt werden.

5. Die Hamburger Stadtentwicklungsstrategie muss auf eine sozial­verträgliche Stadtentwicklung setzen. Die Stadtentwicklung darf nicht nur als Chance verstanden werden, die Stadt lebensfähiger und sozialheterogener zu gestalten, sondern soll auch zum Abbau von Ungleichheit in der Stadt führen.

6. Neubaugebiete sollten von Anfang an auf möglichst spannungs­freies und integratives Leben und Wohnen und Arbeiten orientiert werden. Die nachbarschaftliche Gestaltungskraft ist zu stärken, um die Wirksamkeit zu erhöhen. Das wird nur möglich sein bei einer rechtzeitigen und umfassenden Partizipation.

7. Die Hamburger Stadtentwicklung muss zum Abbau von Gewalt beitragen, durch Stärkung der Sicherheit der öffentlichen Räume. Das Konzept „Stopp – Partnergewalt!“ ist hamburgweit durch­zusetzen. Die angstfreie Mobilität von Frauen ist zu stärken über die Berücksichtigung von Forschung zu „Angsträumen“, über die Gestaltung des Zugangs durch die bessere Beleuchtung und ggf. Videoeinsatz.

8. Eine moderne Hamburger Stadtentwicklung muss Stadtentwick­lung gendergerecht gestalten und dabei die New Urban Agenda der UN (Habitat III) sowie die UN-Agenda Ziele 10, 11 i.V.m. Ziel 5 der Präambel umsetzen, die eine gendergerechte nachhalti­ge Stadtentwicklung fordert. Für die kohärente Umsetzung des Gleichstellungspolitischen Rahmenprogrammes und des Gender Mainstreamings, als notwendige Strategie für die nachhaltige und zugleich inklusive Entwicklung, soll sich an der Stadt Wien orientiert und deren Maßstäbe zum europäischen Vorbild genom-men werden.

3. Forderungen der Arbeitsgruppe „Klimaneutrale Mobilität und Stadtentwicklung“

1. Ausbau des Verkehrsverbundes zu einer komfortablen, schnellen, barrierefreien (inklusiven) und günstigen Alternative zum indivi­duellen Autoverkehr; Instrumente: höhere Taktfrequenzen, Wiedereinführung der Stadtbahn, bessere Querverbindungen (kein Umweg über den Hbf), Erreichbarkeit der Haltestellen in 5 Min., Expresslinien, intermodales Umsteigen, Integration von Sharing-Diensten; Fahrradmitnahme, Ausbau von Park&Ride- Plätzen; einfache und günstigere Tarife.

2. Die Fahrzeugflotte des Verkehrsverbundes muss klimaneutral produziert, betrieben und entsorgt werden.

3. Den Straßenraum von außen (Fußgänger) nach innen (Kfz) priorisieren und planen.

4. Verzicht auf den Neubau von Straßen (z.B. A26-Ost) – außer in Neubaugebieten -, aber Erhaltung bzw. Umbau der bestehenden mit Priorität für öffentlichen Nah-, Rad- und Fußverkehr.

5. Forcierter Ausbau der Radverkehrsinfrastruktur in der Metropol­region Hamburg, z.B. durch Pendler-Trassen (Radschnellwege), protected bike lines, Tempo 30.

6. Um- und Ausbau des Hauptbahnhofs zur Gewährleistung von Sicherheit, Kapazität, Komfort und Umsteigemöglichkeiten.

7. Verzicht auf den weiteren Ausbau des Hafens, insbesondere für noch größere Containerschiffe und für Kreuzfahrtschiffe.

a. Mehr Güter Transporte über die (Hafen-)Bahn, weniger über die Straßen

b. Ausbau der Landstromversorgung mit erneuerbarer Energie, ein flächendeckendes Angebot und Verpflichtung zur Nutzung
von Landstrom während der Liegezeit im Hafen
c. Reduzierung der Besuche von Kreuzfahrtschiffen mit fossilen Kraftstoffen

d.
Ab 2035 nur noch Abfertigung von Schiffen mit klimaneutra­len und nachgewiesen schadstofffreien Kraftstoffen.

8. Verzicht auf den weiteren Ausbau des Flughafens,
a. keine Erhöhung der Flugbewegungen
b. Förderung der Erforschung und Entwicklung von erneuerbaren (synthetischen) Flugkraftstoffe
c. Ausdehnung des Nachtflugverbots auf 22 – 6 Uhr
d. Flughafengebühren nach ökologischem und gesundheitlichen Schadenspotenzial
e. Verbot von Inlandsflügen und ein entsprechender Ausbau des Bahn-Fernverkehrs
f. Ab 2035 nur noch Einsatz von klimaneutralen Flugkraftstoffen

9. Klimafreundliche Stadtentwicklung

a. Wettbewerbe / Planungen zu einer erweiterten autofreien Hamburger Innenstadt und autofreien Stadtteilzentren. Betonung der Gewinne an Lebensqualität, der Aufenthalts­qualität im öffentlichen Raum, Berücksichtigung von mobili­tätseingeschränkten Menschen, des Lieferverkehrs usw.
b. Durchführung und Evaluierung von Tests mit größeren autofreien Quartieren (im Vergleich zu Rathausviertel und Ottensen)
c. Verkehrsversuche zur Reduzierung von großen Fußgänger- und Radfahrer-feindlichen Kreuzungsanlagen

10. Entwicklung und Durchführung eines überzeugenden Kommunikationskonzepts zur Verkehrswende

3. Forderungen der Arbeitsgruppe „Partizipation und Innovation in der nachhaltigen Stadtentwicklung“

1. Die Agenda 2030 wird das Leitprinzip der Hamburger Stadtent­wicklung. Die transparente, umfassende und substantielle, d.h. entscheidungsrelevante Partizipation der Zivilgesellschaft bei der Vermittlung, Umsetzung und Überprüfung der nachhaltigen Ent­wicklungsziele in und durch Hamburg ist dabei sicher zu stellen.

2. Bürgerbeteiligung – sowohl konsultative als auch direkte Demo­kratie – werden als Staatsziel in der Landesverfassung verankert.

3. Die Bürgerbeteiligung in Hamburg wird verbindlich sein. Nur die Offenlegung aller Interessen Beteiligter und Betroffener ermög­licht eine tragfähige Beteiligung.

4. Die Bezirke müssen kommunale Entscheidungsebene werden. Die Evokation/Einzelanweisung durch den Senat ist nicht zulässig. Bei Planverfahren, die vor Ort umstritten sind, soll gemeinsam mit den Bezirken die lokale Bevölkerung mit Hilfe zusätzlicher Beteiligungsangebote in die Gestaltung der Vorhaben eingebunden werden.

5. Umfassende Information ist eine Grundvoraussetzung für trag­fähige Bürgerbeteiligung. Deshalb muss die Transparenz des Ver­waltungshandelns und der Gesetzgebung systematisch und konti­nuierlich ausgeweitet werden. Das Hamburger Transparenzgesetz von 2012 muss erhalten und ausgebaut werden. Eine möglichst barrierefreie Online-Beteiligung wird ergänzend erprobt und umgesetzt.

6. Hamburg muss genügend Fördermittel und Infrastruktur bereit­stellen, um zivilgesellschaftliche Initiativen in den Stand zu setzen, an der Politik mitzuwirken, besonders in den Bereichen Stadtentwicklung, Umwelt, öffentlicher Raum und Infrastruktur. Zukünftige Projektkalkulationen enthalten grundsätzlich die Po­sition Bürgerbeteiligung. Innovative Formate (z.B. Bürger-Foren, Bürgermoderation, Tage des guten Lebens, Gemeinwohlökonomie, Stadtteilnetzwerke, Solidarische Lebensweise) sollen erprobt werden. Die Steuerung und Moderation von unten ist gezielt aus­zubauen.

7. Hamburgs Nachhaltigkeitspolitik erhält einen institutionellen Rahmen in einer neu zu schaffenden Zukunftskommission, die der Bürgerschaft zur Vorbereitung von Entscheidungen zivilgesell­schaftliche Sachkompetenz und Bürgerbeteiligung zur Seite stellt. Die Kommission befasst sich mit allen Aspekten der Nachhaltig­keitsziele der Agenda 2030 und des Pariser Klimaabkommens und deren Folgeabkommen.

8. Die Stadtwerkstatt wird als Plattform für Bürgerbeteiligung bei Planungsprojekten verstetigt und auf Bestandsgebiet erweitert werden. Sie befasst sich mit allen Handlungsfeldern und Ent­scheidungen und muss die bereits formulierten Qualitätskriterien Frühzeitigkeit, Vollständigkeit, Verfahrensgerechtigkeit, Verfah­rensklarheit und Nachvollziehbarkeit erfüllen. Die Innovation der Verfahren soll durch Pilotversuche und regelmäßige gemeinsame Evaluation und Bestandsaufnahmen erfolgen. Die Ergebnisse von Beteiligungsprozessen müssen transparent sein und den Betei­ligten und Betroffenen eine Rückmeldung mit nachvollziehbarer Argumentation über die Berücksichtigung oder Nicht-Berücksich­tigung ihrer Vorschläge geben.“

9. Niemand wird bei der Mitwirkung zurückgelassen. Die Teilhabe der durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz geschützten Personen (z. B. Kinder und Jugendliche, Zugewanderte, sozial Benachteiligte) wird durch geeignete Maßnahmen sichergestellt. Ein unabhängiges Antidiskriminierungsbüro wirkt als Anlaufstelle und kann sich in laufende Verfahren einschalten. Die Wirksamkeit des Büros wird von den Beteiligten regelmäßig evaluiert.

10.
Die Instrumente und Verfahren der Quartiersentwicklung sind auf die Förderung der tatsächlichen Gleichstellung der Geschlech­ter auszurichten. Die unterschiedlichen Lebensrealitäten von Frauen und Männern sind zu berücksichtigen. Die intensive Betei­ligung von Frauen und Mädchen vor Ort muss gewährleistet sein und deren Anregungen sowie geschlechtsspezifischen Bedürfnisse werden berücksichtigt.

11. Bürgerbegehren müssen rechtlich für Bezirk und Senat verbind­lich sein. Sie dürfen ab dem Tag ihrer Anmeldung nicht mehr be- oder verhindert werden. Erfolgreiche Bürgerentscheide oder der Beschluss des Bezirks über die Annahme von Bürgerbegehren dürfen nur im Wege eines neuen Bürgerentscheids abgeändert werden. Die Entscheidung über Zulässigkeit von Bürgerbegehren ist zeitnah zu treffen.

12. Hamburg verbreitet Bürgerbeteiligung auch nach außen. Die internationalen Aktivitäten Hamburgs müssen auf dem vollen Umfang der Menschenrechte basieren und bei jeder Gelegenheit die zivilgesellschaftlichen Handlungsräume in den Partnerländern verteidigen und auf Korruptionsfreiheit pochen.

Stand 01_2020