Nachhaltigkeit in öffentlichen Unternehmen und öffentlicher Beschaffung in Hamburger Koalitionsvertrag

Menschenrechtliche Sorgfaltspflicht als Chance zur Umsetzung

von Dr. Anke Butscher, corsus – corporate sustainability, GWÖ und Consultant Daniel Schönfelder LL.M., Rechtsanwalt, Kanzlei Michaelis

Dieser Artikel stellt dar, welche Vorhaben sich die Hamburger Koalitionspartner*innen im Bereich menschenrechtskonformes und nachhaltiges Handeln in Öffentlichen Unternehmen und Öffentlicher Beschaffung vorgenommen haben. Er liefert Anstöße zur rechtlichen und verwaltungspraktischen Umsetzung. Der Fokus liegt hierbei vor allem auf den sozialen Nachhaltigkeitsaspekten, die durch die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht als Unternehmensprozess gut abgebildet werden können.

Was steht im Koalitionsvertrag?

Das Lieblingswort des Koalitionsvertrages scheint „Nachhaltigkeit“ zu sein. 136 mal wird sie in verschiedenen Kontexten im Vertragstext adressiert. Der Begriff wird nicht genauer definiert, an der Häufigkeit des Wortes wird allerdings deutlich: Die Koalition will Hamburg irgendwie generell „gerechter“ aufstellen. Für den spezifischen Bereich Wirtschaft und Menschenrechte werden die Partner*innen allerdings konkreter:

 

Die Koalitionspartner*innen kündigen an, sich für ein Lieferkettengesetz auf Bundesebene einzusetzen (S. 198) – also ein Gesetz, das Unternehmen dazu verpflichtet, Prozesse menschenrechtlicher Sorgfaltspflicht einzuführen. Das fordern bereits jetzt u.a. die Initiative für ein Lieferkettengesetz, die Bundesparteitage von SPD und CDU,die Bundesminister Hubertus Heil (SPD) und Dr. Gerd Müller (CSU) und verschiedene Bundespolitiker*innen von SPD und Unionsparteien. Die Chancen zur Einführung eines Gesetzes dürfte diese Forderung aus Hamburg noch erhöhen.

Die Koalitionspartner*innen planen weiter, als Pilotprojekt bei einem öffentlichen Unternehmen Prozesse menschenrechtlicher Sorgfaltspflicht einzuführen und eine Bilanzierung nach den Werten der Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) zu starten. Nach einer positiven Evaluierung der Piloten soll dies auf alle öffentlichen Unternehmen ausgedehnt werden (S. 21).

Die Koalitionspartner*innen wollen gerechte und nachhaltige Arbeits- und Produktionsverhältnisse im Ausland zum Kriterium in der öffentlichen Beschaffung machen (S. 84). Das Vergabegesetz soll überarbeitet werden, wobei unter anderem soziale, umwelt- und nachhaltigkeitsbezogene Kriterien vorgesehen sind (S. 117).

Insgesamt scheinen die Koalitionspartner*innen erkannt zu haben, dass eine konsequente Orientierung der Hamburger Politik an sozialen und ökologischen Kriterien dringend geboten ist und angesichts baldiger verpflichtender Rechtsstandards auf EU- und Bundesebene im Bereich menschenrechtlicher Sorgfaltspflicht auch ein Standortfaktor für die Hamburger Wirtschaft sein kann.

Wie kann eine konkrete Umsetzung aussehen?

 

Die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht als zentraler Ankerpunkt

Die Orientierung des Handelns öffentlicher Unternehmen am Prozess menschenrechtlicher Sorgfaltspflicht ist zu begrüßen. Dieser Prozess wurde in den UN Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (UNGP) 2011 entwickelt und findet seit seiner Aufnahme in die OECD Richtlinien für transnational tätige Unternehmen 2011 mehr und mehr Anerkennung. Frankreich führte bereits 2017 eine gesetzliche Verpflichtung für Unternehmen zur Einführung entsprechender Prozesse ein. Andere Länder haben vergleichbare Gesetze. Auf Bundes- und EU-Ebene werden entsprechende Regelungen angekündigt, die u.a. zur Konsequenz hätten, Unternehmen mit zumindest 250 oder 500 Mitarbeiter*innen zur Einführung von Prozesse der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht zu verpflichten. Ein Eckpunktepapier wurde kürzlich von den Bundesministerien für Arbeit und Soziales und für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung finalisiert. Es ist also dringend erforderlich, dass sich Unternehmen heute schon damit beschäftigen. Die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht dürfte sich zu einem zentralen Indikator für die Erfüllung sozialer Nachhaltigkeitskriterien entwickeln.

Aber was heißt eigentlich „menschenrechtliche Sorgfaltspflicht“? Dabei handelt es sich im Kern um einen Unternehmensprozess aus den folgenden Schritten:

  1. Öffentliche Grundsatzerklärung zur Einhaltung von Menschenrechten im Unternehmen
  2. Zuweisung von unternehmensinternen Verantwortungen für die Einhaltung von Menschenrechten
  3. Analyse möglicher negativer Auswirkungen auf Menschenrechte in der Lieferkette, inklusive Stakeholder Befragungen
  4. Maßnahmen zur Vermeidung der erkannten möglichen negativen Auswirkungen (bei Zulieferer*innen etwa: Branchenkooperation für Standards, Anreize für positives Verhalten, im äußersten Fall: die Geschäftsbeziehung beenden)
  5. Abhilfe bei erkannten aktuellen Beeinträchtigungen
  6. Einrichtung von Beschwerdemechanismen für Betroffene
  7. Evaluierung der Effektivität (inklusive Stakeholderbefragung)
  8. Kontinuierliche öffentliche Berichterstattung über die ergriffenen Maßnahmen

Die Orientierung an diesem Prozess sollte sowohl die Umsetzung des Koalitionsvertrags im Bereich nachhaltige öffentliche Unternehmen als auch sozial nachhaltige öffentliche Beschaffung leiten.

 

Öffentliche Unternehmen

Die Forderungen des Koalitionsvertrages greifen sehr sinnvolle Aspekte auf:

Menschenwürde, Solidarität und Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit, Transparenz und Demokratie finden über die Bilanzierung der Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) Einzug in der Nachhaltigkeitsbewertung und –berichterstattung eines öffentlichen Unternehmens. Hier kann an einen breiten zivilgesellschaftlichen Konsens angeknüpft und Pionierarbeit für die Beteiligungspolitik anderer Städte geleistet werden. Zentraler Vorteil des vorgeschlagenen Modells des Koalitionsvertrags ist, dass die GWÖ-Bilanzierung neben der Einführung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten nachhaltiges Unternehmertum der öffentlichen Hand leiten soll. Denn zum einen weisen GWÖ Bilanz und menschenrechtliche Sorgfaltspflicht zahlreiche Synergien im Bereich soziale Nachhaltigkeit auf

und ergänzen sich. Zum anderen können über die GWÖ-Bilanzierung auch ökologische und wirtschaftliche Aspekte und transparente und demokratische Prozesse sichtbar gemacht werden.

Dadurch wird die seit Mai 2019 gültige Pflicht zur Erstellung eines Nachhaltigkeitsberichts nach den Kriterien des Deutschen Nachhaltigkeitskodex (DNK) im Hamburger Corporate Governance Kodex für direkte und mittelbare Mehrheitsbeteiligungen Hamburgs sinnvoll weiterentwickelt. Zum einen ist durch die Befolgung dieser DNK Kriterien schon ein erster Schritt in Richtung menschenrechtliche Sorgfaltspflicht und GWÖ-Bilanzierung getan. Die Befolgung des DNK als reiner Berichtspflicht reicht aber nicht aus, um ein werteorientiertes und nachhaltiges Unternehmertum zu gewährleisten. Durch die Bilanzierung nach Gemeinwohl-Ökonomie wird der bestehende Prozess um einen ganzheitlichen Blick ausgeweitet.

 

Öffentliche Beschaffung

Etwas verwunderlich erscheint es vor dem Hintergrund der abzusehenden deutlich größeren Relevanz der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht, dass im Bereich der öffentlichen Beschaffung nur auf „Arbeits- und Produkutionsstandards“ verwiesen wird. Hier sollte die Stadt weitere Chancen nutzen: es lohnt sich, die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht als generellen Standard für soziale Nachhaltigkeitsaspekte auch in der Beschaffung einzuführen. Denn diese werden in Zukunft sowohl für die Stadt als auch für Privatunternehmen handlungsleitend sein. Die Schaffung von Parallelstandards führt hingegen zu einem ungleich höheren Aufwand ohne Mehrwert.

Rechtliche Umsetzung

 

Im Vergaberecht stellt sich zunächst die Frage, wie die regulatorische Ausgangslage im für Hamburg geltenden Vergaberecht aussieht und inwiefern Lücken zu den im Koalitionsvertrag vorgesehen Neuerungen bestehen.

  • 3a Abs. 1 S. 1 des Hamburgischen Vergabegesetzes (HmbVgG) sieht bereits vor, dass die Beachtung von den ILO-Kernarbeitsnormen seitens der zu beauftragenden Unternehmen ein Kriterium in der Öffentlichen Beschaffung ist. Außerdem statuiert § 3a Abs. 2 Nachweis- und Zertifizierungspflichten vor. § 3a Abs. 4 stellt darauf ab, dass „vorrangig“ fair gehandelte Produkte beschafft werden, sofern das wirtschaftlich vertretbar ist und ein entsprechender Markt vorhanden ist.

Will man insgesamt, wie der Koalitionsvertrag, nachhaltige Arbeits- und Produktionsverhältnisse im Ausland und soziale und nachhaltigkeitsbezogene Aspekte zu relevanten Kriterien machen, würde sich das folgende Vorgehen anbieten: Anstatt nur auf die ILO Kernarbeitsnormen abzustellen, sollte weiter gehend auf alle von der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht nach den UNGP 12 erfassten Menschenrechte abgestellt werden – wobei zur Bestimmtheit des Gesetzestext die Auflistung der in Bezug genommenen internationalen Rechtstexte explizit aufgezählt werden müssten. Das wären beispielsweise die bereits jetzt erfassten ILO Kernarbeitsnormen, aber auch die Internationale Charta der Menschenrechte. Anstatt pauschal auf eine „Beachtung“ abzustellen, sollte auf die vorhandene und dokumentierte Anwendung der Unternehmensprozesse menschenrechtlicher Sorgfaltspflicht abgestellt werden. Dadurch würde die Zielvorgabe des Koalitionsvertrags erfüllt, denn die Anforderung der sozial nachhaltigen Arbeits- und Produktionsverhältnisse wird durch die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht ebenso abgebildet wie das Kriterium der sozialen und nachhaltigkeitsbezogenen Beschaffung. Einzig die Frage der ökologischen Nachhaltigkeit bleibt offen.

Diesbezüglich bietet allerdings bereits § 3b HmbVgG Ansatzpunkte – deren Verbesserungsbedürftigkeit zu analysieren würde den Rahmen dieses Artikels sprengen.

Zusätzlich sollte entschieden werden, auf welcher vergaberechtlichen Ebene angesetzt werden sollte. Bisher sieht § 3a Abs. 1 S. 1 nicht spezifisch vor, wo genau im Prozess die Beachtung der ILO Kernarbeitsnormen relevant werden soll.

Mögliche sinnvolle Anknüpfungspunkte wären die Leistungsbeschreibung oder die Zuschlagskriterien. Bei der Leistungsbeschreibung sind gem. § 121 Abs. 1 S. 2 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) durch die Formulierung, dass diese „Funktions- oder Leistungsanforderungen“ enthalten kann, dem Landesgesetzgeber relativ weit reichende Spielräume zugesprochen werden. Hier könnte etwa in § 3a HmbVgG aufgenommen werden, dass die Etablierung von Prozessen menschenrechtlicher Sorgfaltspflicht im Unternehmen eine „Funktionsanforderung“ ist.

Eine andere Möglichkeit besteht im Anknüpfen an den Zuschlagskriterien. Hier lässt § 127 Abs. 1 S. 2 GWB die Berücksichtigung qualitativer, umweltbezogener oder sozialer Aspekte zur Bestimmung des besten Preis-Leistungs-Verhältnisses und somit des wirtschaftlichsten Angebots zu. Wiederum in § 3a HmbVgG ließe sich eine Bestimmung aufnehmen, nach der es bei der Vergabe positiv zu berücksichtigen wäre, wenn ein Unternehmen nachweislich Prozesse menschenrechtlicher Sorgfaltspflicht eingeführt hat. Zwar muss gemäß § 127 Abs. 3 S. 1 GWB ein Zuschlagskriterium Bezug zur zu erfüllenden Aufgabe aufweisen. Allerdings dehnt Abs. 3 S. 2 GWB den Begriff des Aufgabenbezugs auch auf den ganzen für die Aufgabenbereitstellung notwendigen Produktionszyklus aus, so dass auch menschenrechtliche Sorgfaltspflichten in der Lieferkette Aufgabenbezug aufweisen.

Für derartige Konkretisierungen von Landesvergabegesetzen hinsichtlich Zuschlagskriterien und Leistungsbeschreibung werden Regelungen der Länder nach der allgemeinen Gesetzgebungskompetenz gem. Art. 70 GG für weiterhin möglich gehalten. Denn das GWB, dass im Rahmen seiner Regelungen gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG abweichende Regelungen der Länder sperrt, schließt mangels weitergehender Konkretisierung der menschenrechtlichen Anforderungen in §§ 121 und 127 GWB entsprechende Länderregelungen nicht aus.

Menschenrechtliche Sorgfaltspflicht und Gemeinwohl-Ökonomie helfen bei der Erreichung der SDGs

 

Hamburg sieht sich als Metropole und Welthandelsdrehscheibe auch in der Verantwortung, bei den von der Agenda 2030 adressierten langfristigen Transformationserfordernissen eigene Beiträge zu entwickeln. Und Hamburg sieht – auch mit Blick auf den Wettbewerb der Metropolen – große Chancen darin, Labor und Motor für Transformation und Innovation zu sein (näheres dazu siehe Seite 6, „Stärkung transformativer urbaner Governance“).

2015 haben sich die 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen unter dem Titel „Transformation unserer Welt“ auf einen Zukunftsvertrag für nachhaltige Entwicklung geeinigt, der allen Menschen weltweit ein Leben in Freiheit, Würde und einer intakten Umwelt ermöglichen soll (Sustainable Development Goals – SDGs). Das Leitmotiv der Agenda 2030 lautet „Leave no one behind“ – niemanden zurücklassen. Bei der Umsetzung der Agenda kommt Städten und Gemeinden eine Schlüsselrolle zu. Auch Hamburg hat sich 2017 mit der Senatsdrucksache 21/9700 auf die Umsetzung der UN Nachhaltigkeitsziele verständigt und sieht sich als „Metropole und Welthandelsdrehscheibe in

der Verantwortung, bei den von der Agenda 2030 adressierten langfristigen Transformationserfordernissen eigene Beiträge zu entwickeln”. Diese Verpflichtung liefert einen Maßstab für politisches Handeln. Sie ist Anspruch und Klammer zugleich, um Prozesse und Indikatoren der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht und der Gemeinwohl-Ökonomie für eine konsequente Umsetzung der UN-Nachhaltigkeitsziele in Hamburg und eine verantwortungsvolle gesellschaftliche und wirtschaftliche Transformation zu ermöglichen.

Fazit

Für die Stadt braucht es nebst den Bekenntnissen aus dem Koalitionsvertrag zudem eine strukturelle Verankerung der Verantwortung für soziale, ökologische und wirtschaftliche Nachhaltigkeit. Sinnvoll erscheint hier eine Stabsstelle bei der Senatskanzlei mit entsprechenden Pendants in den Fachbehörden.

 

Wenn sowohl strukturell als auch fachlich die Ansätze aus dem Koalitionsvertrag zur sozialen Verantwortung kein Lippenbekenntnis bleiben, sondern konsequente Anwendung in Politik und Verwaltung finden, kann sich Hamburg als Trendsetter und Vorreiter profilieren und eigene Unternehmen und Prozesse auf wichtige Zukunftsthemen vorbereiten. Durch die Orientierung an Menschenrechten und Gemeinwohlökonomie für das unternehmerische Handeln der Stadt und in der Privatwirtschaft werden Menschenrechte für Hamburg zum wirtschaftlichen Standortfaktor. Damit kann Hamburg ein echter Pionier bei der Umsetzung der SDGs werden. Die Stadt sollte diese Chance ergreifen.