Zukunftsrat

Zukunftsrat analysiert Hamburgs Nachhaltigkeitsbericht und fordert öfftentliche Beteiligung ein

Der Zukunftsrat hat eine inhaltliche Stellungnahme zum ersten Nachhaltigkeitsbericht verfasst. Die aktuelle Stellungnahme geht auf die Inhalte einer Auswahl von Aspekten und (Unter)Zielen der SDG ein. Außerhalb der formalen Stellungnahme regen wir außerdem an, dass das Vorwort nicht mit Worten beginnt, die auf die Verantwortung der FHH zur Umsetzung der Agenda 2030 verweisen. Das ist zwar wichtig und gibt den Rahmen für alle Arbeit um Nachhaltigkeit und auch für diesen Bericht, aber es geht um den Erhalt unserer Lebensgrundlagen und um die dazu notwendige Transformation friedlich gemeinsam zu bewerkstelligen. Das ist die zugrundeliegende Motivation, auch die Motivation, dass Deutschland und all die anderen Staaten die Agenda 2030 unterzeichnet haben. Sie können die Stellungnahme direkt hier lesen oder auch als PDF herunterladen: Stellungnahme zum Nachhaltigkeitsbericht

Aus dem Wortlaut:

Zweite Stellungnahme des Zukunftsrat Hamburg zum Hamburg Voluntary Local Review 2023 und zur Hamburger Nachhaltigkeitsstrategie

November 2023

Einleitende Bemerkungen

Der Zukunftsrat Hamburg begrüßt den Hamburger Nachhaltigkeitsbericht und sieht darin ein wichtiges Instrument für die Information der breiten Öffentlichkeit über den Stand und Entwicklung der Maßnahmen zur Transformation hin zu einer klimaneutralen, inklusiven und gerechten Stadt· zur Rechenschaftslegung über die Maßnahmen und Erfolge der Freien und Hansestadt Hamburg, aber auch zukünftige Herausforderungen· als Grundlage für die Zivilgesellschaft für einen kritischen Blick auf das Erreichte und Geplante sowie· als Basis für konstruktive Vorschläge für die Nachhaltigkeitsstrategie, um mehr Wirksamkeit der Maßnahmen und Beschleunigung der gesellschaftlichen Transformation zu erreichen.

Unsere Welt hat sich geändert – weit über das hinaus, was Bundeskanzler Olaf Scholz mit dem Begriff „Zeitenwende“ in seiner Rede vor dem Bundestag am 27.2.2022 gemeint hat. Die ganze Welt justiert sich neu und geht mit kriegerischen Auseinandersetzungen einher, die uns in Europa, in Deutschland und in Hamburg weitaus mehr betreffen als bisher angenommen. Alle bisherigen politischen und wirtschaftlichen Strategien werden einer Überprüfung unterzogen werden müssen. Geändert hat sich auch die Dringlichkeit der Maßnahmen zur Begrenzung der Erderwärmung und des Verlustes der Biodiversität, die schneller fortschreiten, als noch vor wenigen Jahren vorausgesagt. Schneller als erwartet vernichten wir unsere Lebensgrundlagen. Wir können von Glück sprechen, dass es die Agenda 2030 zur nachhaltigen Transformation gibt – eine Strategie, die nach wie vor für fast alle Staaten der Welt als gemeinsame Orientierung dient, alle Länder betrifft und sie, manchmal aus der Not, miteinander verbindet und zur Kooperation zwingt.

Mit Bezug zu unserer ersten Stellungnahme vom 17. September 2023 zum Hamburger Nachhaltigkeitsbericht liefern wir heute weitere Kommentierungen zum Bericht und Vorschläge zur Weiterentwicklung des Berichts und der Nachhaltigkeitsstrategie.

Unsere Ressourcen erlauben keine vollständige Auseinandersetzung mit allen Themen innerhalb einer überschaubaren Zeit, aber wir freuen uns, dass sich unsere Mitglieder Zeit und Engagement eingebracht haben, zu dieser Stellungnahme beizutragen. Dafür bedanken wir uns herzlich an dieser Stelle.

Hamburg im Kontext nachhaltiger Entwicklung

Auch die Freie und Hansestadt Hamburg einschließlich der Hamburger Wirtschaft wird ihre Strategien überdenken und überarbeiten müssen. Insbesondere wird die unvermeidliche Abkehr von der neoliberalen Wirtschaftsausrichtung, die große Teile der Welt nicht mehr so fortzusetzen bereit sind, erhebliche Korrekturen nach sich ziehen. Insbesondere wird die unhaltbare Annahme des ewigen Wachstums und der stets wachsenden Profite auf den Prüfstand kommen. Das wird auch wichtige Säulen Hamburgs in unterschiedlichem Ausmaß betreffen: Hamburg als Hafen- und Industriestadt, als Verkehrsdrehscheibe, Ausgangspunkt und Ziel von Tourismus, Luft- und Raumfahrt und Ausrichtung mehrerer Wissenschafts-disziplinen. Die ökologischen und sozialen Herausforderungen werden sich zuspitzen. Je früher dies mit der Stadtgesellschaft erörtert wird, desto besser wird der „Neustart in der Wirtschaft, in der Bildung, in der Kultur, in der Digitalisierung, in der Mobilität und im Klima- und Umweltschutz“ gelingen. Genau darin steckt die enorme Chance, mit den Umwälzungen gemeinwohlorientiert und friedlich fertig zu werden.

Zur Strukturierung unserer Kommentare zum Nachhaltigkeitsbericht nutzen wir die im Umsetzungsplan der Agenda 2030 in Hamburg benutzten Handlungsfelder (im Nachhaltigkeitsbericht „Schwerpunkte“ genannt:· Umwelt und Stadt (SDGs 3,6,7,9,11,10,10,13,14,15,· Nachhaltige Wirtschafts- und Finanzpolitik (7,8,9,10,11,12, · Teilhabe und sozialer Zusammenhalt (1,2,3,4,8,10,11,· Bildung und Wissenschaft (4)· Querschnittsthemen (5,16,17).

  1. Umwelt und Stadt

Gesundheit SDG 3

Alles ist relativ, wie man weiß. Aber wenn der Nachhaltigkeitsbericht lapidar feststellt, dass „neben der hochwertigen Gesundheitsversorgung für alle Menschen – unabhängig von sozialem Status und anderen Faktoren – auch die Prävention im Vordergrund [stehe], um die entsprechende notwendige Gesundheitsversorgung zu reduzieren“, dann entspricht dies wohl kaum der heutigen Wahrnehmung vieler Hamburgerinnen und Hamburger. Bestenfalls vielleicht der Privatversicherten.

Wesentliche Indikatoren für die Gesundheit – insbesondere der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer – sind die Statistiken über die genderspezifische Zahl der Krankheitstage und diese sollten im Nachhaltigkeitsbericht wiederzufinden sein. Der Anteil psychischer Erkrankungen sollte gesondert ausgewiesen werden. Hier macht auch eine Unterteilung zwischen der öffentlichen Hand und der Privatwirtschaft Sinn.

Der Mangel an Medikamenten ist keine Hamburgensie. Aber lange Wartezeiten zu vielen Ärzten ist eine, um die sich Hamburg kümmern muss. Besondere Aufmerksamkeit erfordert die Situation bei psychischen Krankheiten, die nach den Corona-Jahren und im Zuge erheblicher Unsicherheiten stark zugenommen haben, auch bei Kindern. Sie sind die zweithäufigste Krankheitsursache. Wartezeiten von 20 Wochen und mehr sind keine Seltenheit, sondern eher die Regel. In skandinavischen Ländern wird dieser Zunahme an psychischer Unterstützung auch mit Kurztherapieformen begegnet, teilweise in Gruppen, um die langen Wartezeiten zu verkürzen, die die Probleme verstetigen können. Wartezeiten auf unterschiedliche medizinische Dienstleistungen sind ein wichtiger Indikator für die Qualität des Gesundheitssystems, deren Kenntnis unverzichtbar, um notwendige Maßnahmen einzuleiten. Eine Unterscheidung zwischen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, insbesondere auch älteren Menschen, ist notwendig.

Pflegenotstand ist kein neuer Begriff und eine Reihe von Maßnahmen sind bereits bundesweit und in Hamburg eingeleitet worden, dem zu begegnen. Die demographische Entwicklung zieht eine ständig zunehmende Pflegequote und einen wachsenden Bedarf an Pflegeplätzen nach sich. Der Nachhaltigkeitsbericht weist die nackte Zahl der Pflegeheimplätze aus, die wenig aussagekräftig ist. Diese Zahl sollte lieber als Anteil der Einwohner*innen in Hamburg oder noch besser als Anteil des konkreten Bedarfs an Pflegeplätzen ausgewiesen werden.

Aber die Zahl der Pflegekräfte und der Auszubildenden für Pflegeberufe halten auch in Hamburg dieser Entwicklung kaum stand. Diese Entwicklungen sind für die Lebensqualität der Stadt von hoher Relevanz. Daher schlägt der Zukunftsrat Hamburg vor, dass die Pflegequote, die Zahl der PflegekräMe in Pflegeheimen und die Zahl der Auszubildenden für Pflegeberufe auch Bestandteil des Nachhaltigkeitsberichts werden, jeweils unterteilt nach Geschlecht. Die Personalstärke in Pflegeheimen, die im Nachhaltigkeitsbericht ausgewiesen wird, sollte (wie im kommunalen SDG-Portal lieber aussagefähiger in Form von Vollzeitäquivalenten pro 10 000 Einwohner ausgewiesen werden.

Dauerhafte Lärmbelastung als eine anerkannte Quelle zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen hat großen Raum im qualitativen Teil des Nachhaltigkeitsberichts eingenommen und weitere Maßnahmen zur Reduktion des Umgebungslärms (vor allem Straßenlärm ist erfolgen. Gut so. Verwunderlich ist aber, dass gar keine quantitativen Indikatoren aufgenommen wurden, obwohl Lärmbelastung in Hamburg schon lange gemessen wird. Erfreulich ist, dass die Grenzwerte europaweit neu zugunsten der Bürgerinnen und Bürger gesetzt worden sind. Auch wenn heute neue Grenzwerte und Methoden zu anderen und höheren Betroffenenzahlen als früher führen, sollten zumindest die neuen Erkenntnisse im Nachhaltigkeitsbericht ausgewiesen werden. Darüber hinaus sollten Schätzungen der Betroffenenzahlen nach der jetzt geltenden Methode pro Sektor bzw. Lärmquelle auch retrospektiv möglich sein. Die neuen Lärmkarten zeigen, dass etwa ein Drittel der Hamburgerinnen und Hamburger von Straßenlärm mit einem durchschnittlichen 24-Stunden-Umgebungslärmpegel ab 55 dB und etwa einViertelauchnachtsab50dBbetroffensind.DerZukunftsrat beobachtet die Erstellung des neuen Lärmaktionsplans nach EU-Richtlinie genau und erwartet darin entsprechende Hinweise und Maßnahmen für Hamburg.

Die Entwicklung der Luftbelastung mit verschiedenen Schadstoffen in Hamburg weist erfreuliche Tendenzen auf, über die wir uns alle freuen können. Sobald die Nachhaltigkeitsstrategie für all diese Schadstoffe konkrete Ziele festgelegt hat, bietet sich auch die Möglichkeit, einen zusammengesetzten Indikator für alle Schadstoffe zu erstellen, der einen Gesamteindruck über die Entwicklung und den Zielerreichungsgrad vermittelt.

Digitalisierung sollte hier vorrangig dazu eingesetzt werden, das Krankenhaus- und Pflegepersonal zu entlasten, stat sie mit der Bedienung immer weiterer Systeme zusätzlich zu belasten. Für alle Beteiligten bedeutet das althergebrachte Quartalssystem noch immer mit Papierrezepten und -überweisungen in großer Zahl – mit Digitalisierung vermeidbare Wege und Aufwände.

Mobilität

Das Mobilitätskapitel ist kein Ruhmesblatt für Hamburger Politik und Verwaltung. Das Mobilitätsprogramm 201ti, das die Leitlinien für die Mobilität in Hamburg festlegte und Ziele für 20ti0 formulierte, versprach kontinuierliche Verkehrsentwicklungsplanung und hielt bereits damals fest, wie wichtig eine parteiübergreifende einvernehmliche Strategie sei, um Brüche in der Planung, verlorenen Aufwand und Kosten zu vermeiden. Das Jahrzehnt danach hat leider die befürchteten Folgen der Strategielosigkeit gezeitigt: wiederholte Brüche und Verwerfungen je nach parteipolitischen Präferenzen. Um eine weitere orientierungslose Dekade zu vermeiden, bedarf die Hamburger Verfassung neben Klimaschutz einer Ergänzung um gesundheits- und umweltfreundliche Stadt- und Verkehrsplanung.

Wir müssen erkennen, dass jeder eingesparte Kilometer Antriebsenergie spart, die erst kosten-trächtig erzeugt werden muss und Spuren in Umwelt und Klima hinterlässt. Dies muss sich in den Leitprinzipien niederschlagen. Dies ist auch ein ökonomisches Prinzip und zahlt sich am Ende aus.

Lob verdient jedoch der umfangreiche Ausbau der Barrierefreiheit in den öffentlichen Verkehrs-systemen, das einen großen Beitrag zur Inklusion leistet.

 

Erst im Jahr 2017 wurden Ziele für die erste Verkehrsentwicklungsplanung formuliert und die Indikatoren zur Messung der Fortschritte benannt – allerdings ohne diesen Zielwerte zuzuordnen. Von diesen Indikatoren zeigt der Nachhaltigkeitsbericht nur einen Bruchteil und noch heute ist der erste Verkehrsentwicklungsplan nicht verabschiedet.

Der Pkw-Bestand in Hamburg und der Pendelverkehr nach Hamburg nehmen ungehemmt weiter zu. Dazu werden zügig eine attraktive ÖPNV und moderne Bahnen und Busse benötigt. Die e-Mobilität darf nicht nur als Energieverbraucher, sondern auch als Energiespender betrachtet werden. Hamburg als Vorreiter der e-Mobilität sollte auch in dieser Hinsicht Vorreiter werden und das bidirektionale Laden vorantreiben.

Der Bau der A26 mit seinem Ressourcenverbrauch und den erheblichen Eingriffen in die Naturlandschaften passt nicht mehr in die heutige Welt. Außerdem–gerade wenn Finanzmittel knapp sind – darf eine City-Maut kein Tabu sein.

  • für die benannten Indikatoren in jeder Handlungszielkategorie (ökonomische, ökologische, soziale und auf Gesundheit bezogene, stadträumliche und mobilitätsbezogen) müssen jetzt zügig ambitionierte quantitative Ziele festgelegt werden. Dabei sollte der Verkehrs-entwicklungsplan (VEP) die Spielräume der von der Bundesregierung gerade novellierten Straßenverkehrsordnung maximal ausnutzen.
  • Alle Indikatoren und ihre Komponenten sollen als FAIR Open Data bereitgestellt werden. Der Zukunftsrat empfiehlt folgende Ergänzungen zu dem Indikatorensatz:

Für sowohl ökologische als auch ökonomische Handlungsziele:

  • Die Fahrleistung sowohl von Pkw als auch von Lkw ist ein wichtiger Bezugsindikator, um zu erkennen, welche Maßnahmen was bewirkt haben, und sollte im Nachhaltigkeitsbericht ausgewiesen werden.
  • Anzahl Flugzeugbewegungen am Hamburger Flughafen, unterteilt nach Fracht- und Personenverkehr
  • Anzahl Ankünfte von Schiffen am Hamburger Hafen, unterteilt nach Containerschiffen, Kreuzfahrtschiffen, Stückgutfrachtern, Tankschiffen und Fahrzeugtransportern.
  • Anteil der Schiffe, die Landstrom in Anspruch genommen haben, unterteilt nach touristischen und Frachtschiffen sowie nach der Intensität der Landstromnutzung (während der gesamten Liegezeit oder nur zeitweise).

Für soziale und auf Gesundheit bezogene Handlungsziele:

  • Bei Verkehrssicherheit sollte die Zahl der verunglückten nichtmotorisierten Verkehrs-teilnehmenden nach Fußgängern und Radfahrern und Altersklassen (Kinder, Jugendliche, Menschen > 65) unterteilt und gegendert werden. Die Zahl der verunglückten motorisierten Verkehrsteilnehmenden sollte nach Art des Fahrzeugs unterteilt werden (mindestens Lkw, Wohnwagen/Camper, Pkw, motorisiertes Zweirad).
  • -· Es sollte der Reifenabrieb von Fahrzeugen im Hamburger Verkehr erfasst und ausgewiesen werden. Er dürfte auch in Hamburg die größte Quelle für Plastikeinträge in die Umwelt sein und sollte nicht länger unbeachtet bleiben.

Für stadträumliche Handlungsziele:

  • Es sollte die Fläche, die der ruhende Verkehr durch die in Hamburg zugelassenen PKW, Wohnwagen, LKW und Wohnwagen in Anspruch genommen wird, erfasst und ausgewiesen werden.
  •  Es sollte die Fläche des Hamburger Straßennetzes ausgewiesen werden, unterteilt nach Busspuren, Radspuren, Fußgängerwegen und dem restlichen PKW/LKW-Verkehr ausgewiesen werden.
  • Der Anteil der verkehrsberuhigten Abschnitte am Hamburger Straßennetz, unterteilt nach Tempo, und anderen verkehrsberuhigenden Maßnahmen soll ausgewiesen werden.
  • Der Nachhaltigkeitsbericht sollte in allen Handlungszielkategorien pro Handlungsziel einen zusammengesetzten Indikator (Index) ausweisen, der den jeweiligen Zielerreichungsgrad in einer Zahl zum Ausdruck bringt. Auch ein Index über alle Handlungszielkategorien sollte zusammengestellt werden, um auf einem Blick einen Gesamteindruck über die Fortschritte zu geben.

Der Nachhaltigkeitsbericht sollte in allen Handlungszielkategorien pro Handlungsziel einen zusammengesetzten Indikator (Index) ausweisen, der den jeweiligen Zielerreichungsgrad in einer Zahl zum Ausdruck bringt. Auch ein Index über alle Handlungszielkategorien sollte zusammengestellt werden, um auf einem Blick einen Gesamteindruck über die Fortschritte zu geben.

Klimaschutz -> Stopp der Erderwärmung

Der Zukunftsrat empfiehlt, von dem irreführenden Begriff ‚Klimaschutz‘ abzurücken. Der Begriff erweckt den Eindruck, dass das Klima unseres Schutzes bedürfe. Er lässt die notwendigen Maßnahmen wie eine karitative Anstrengung erscheinen und verharmlost die Dringlichkeit der Klimakrise. Es geht um den Schutz der Lebensgrundlagen für den Menschen.

Das Jahr 202ti wird ohne Zweifel das wärmste Jahr, das der Mensch auf diesem Planeten erlebt hat. Nicht nur fordert die Agenda 2030 den Klimawandel umgehend zu bekämpfen und hat sich Deutschland mit Ratifizierung des Pariser Abkommens zur Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau verpflichtet. Die Verpflichtung ist erdrückender und auch in Hamburg deutlich greifbarer geworden. Seit 2020 ist die Begrenzung der Erderwärmung auch ein Verfassungsgebot in Hamburg. Der Nachhaltigkeitsbericht stellt richtig dar, dass die bestehende Infrastruktur im städtischen Gebiet nach Kriterien gebaut ist, die nicht auf die Veränderungen des Klimas ausgelegt sind. Er stellt auch dar, dass Beiträge zur Erreichung des 1,5-Grad-Ziels und Länder und Kommunen an die Folgen des Klimawandels anzupassen, für öffentliche Akteure unabdingbar sind.

Klimaschutzziele -> Ziele zum Stopp der Erderwärmung

Zwischen 2015 und 2021 sind die CO2-Emissionen in Hamburg (in der Verursacherbilanz) von 17,029 MT auf 14.455 MT gesunken. Im Vergleich zu 1990 liegt der Reduktion bei 1%. Das Ziel von 6.300 MT in 2030 werden wir aber bei der aktuellen Reduktionsrate weit verfehlen. Wir sehen also, dass die Umsetzung von „fast 90% aller im Klimaplan vereinbarten Maßnahmen“ nicht reichen werden, um die angestrebte CO2-Reduktion zu bewirken.

Wir erwarten eine schonungslose kritische Auseinandersetzung mit diesen Fakten und ein entsprechendes Maßnahmenpaket, dessen Ambitionen nachvollziehbar sind. Was den vorliegenden Entwurf des „Klimaschutzstärkungsgesetzes“ betrifft, haben wir begrenztes Vertrauen, dass es die gesetzten Ziele erreichen wird, denn nirgendwo ist nachlesbar, wie sich die einzelnen Maßnahmen auswirken sollen. Wir können uns nicht länger leisten, die kostbaren – insbesondere öffentlichen – Flächen unserer Stadt für eine stetig zunehmende Zahl herumstehender Fahrzeuge vorzuhalten. Wir vertrauen der Wirkung der CO2-Emissions-zertifikate auf die Industrie, solange sie sozial flankiert und nicht durch andere Maßnahmen verwässert werden. Hier wäre dennoch eine verstärkte Aufklärung auch im Handel vonnöten. Es ist auch gut, Anreize zu setzen, aber vielfache Erfahrungen zeigen, dass finanzielle Anreize gern gerade von denen mitgenommen werden, die sie eigentlich nicht benötigen, aber ihr Verhalten kaum ändern oder zu ausweichenden Verhaltensweisen mit Rebound-Effekten führen.     Wer keinen Malus für kontraproduktives Verhalten erfährt, wird keine Notwendigkeit für Verhaltensänderung spüren. Das ist rationales Verhalten. Je länger sich die öffentliche Hand – etwa im Konsumbereich – vor Leitplanken scheut, die zu notwendigen Verhaltensänderungen führen, desto langsamer werden sich die Erfolge zeigen.

Die Pläne für Tiefstack, die der Zukunftsrat kurzfristig für akzeptabel hält, dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch Müllverbrennung CO2 emittert und eine trügerische Verlockung darstellt, das Recycling weniger ernst zunehmen. Dies muss mittelfristig in die Pläne eingehen.

Wir sehen in dem (kontinuierlichen) Nachhaltigkeitsbericht auch die dringende Aufgabe, das CO2-Rest-Budget Hamburgs auszuweisen. Ebenso wären CO2-Emissionen, die Hamburger Unternehmen durch Verlagerung von Produktion in andere Länder möglicherweise verschoben haben, eine Größe, die transparent gemacht werden müsste.

Es kommt hinzu, dass wir uns in die Taschen lügen, wenn sich die Betrachtung nur auf die Verursacherbilanz beschränkt. So wird die Dringlichkeit verschleiert. Der Nachhaltigkeits-bericht sollte das gesamte Bild zeigen, d.h. auch die schwerwiegenden Klimafolgen des Neubaus: Die Emissionen der Zementindustrie für Neubauten in Hamburg schlagen sich hier nicht zu Buche, nur weil diese Industrie ihren Sitz nicht in Hamburg hat. Auch Holz kann da keine große Lösung anbieten, denn es erhebt sich die Frage, woher das ganze Holz kommen soll. Die monokulturelle Forstwirtschaft der Industrienationen war eher eine Rohstoffwirtschaft. Schon heute werden in Skandinavien im Übermaß Wälder abgeholzt (auch in Naturschutzgebieten) und Waldböden für Jahrzehnte zerstört, während Wälder gleichzeitig auch am Klimawandel stark leiden. In den Nationalparks der bulgarischen Karpaten ist der durch Korruption unterlegte illegale Holzeinschlag inzwischen sprichwörtlich. In Deutschland weisen lt. BMEL inzwischen ti5 Prozent der Waldbäume eine deutliche Kronenverlichtung auf (vor 10 Jahren 24 %), weitere 44 Prozent sind in Warnstufe (vor 10 Jahren 37 %). 16 Prozent der globalen Tropenwaldholznutzung und Naturzerstörung gehen laut WWF auf das Konto der EU (Vizeweltmeister), und Deutschland trägt als EU-Champion mit knapp 44 Mio Hektar pro Jahr zur Entwaldung bei. Die Nachhaltigkeitsstrategie muss mitberücksichtigen, wieviel Holz, in welcher Qualität, aus welchen Wäldern uns zusteht.

Vor allem in der Bauwirtschaft wird auch illegal und trotz der Sanktionen Holz aus Russland importiert und verarbeitet. Schließlich wird das für die Walderneuerung und CO2-Bindung so wichtige Totholz viel zu viel für den Einsatz von Produkten, die nur einmal genutzt werden. Auch hohe Recyclingquoten können dies nicht wettmachen. Darüber hinaus bedeuten Abriss und Neubau gewaltige Abfallproduktion, was – trotz zunehmender Wiederverwendung von Abrissabfällen – noch enorme Umweltprobleme bereithält. Neubau und Abriss von Gebäuden verursachen den größten Anteil der Emissionen eines Gebäudelebens. Daher sollte jeder Gebäudeabriss mit hohen Auflagen verbunden sein und einer genauen Überprüfung für klimafreundlicheren Alternativen zugeführt werden. Der Nachhaltigkeitsbericht sollte die Anzahl genehmigter Abrisse und diese zu Klassen von Grundstücksflächen zuordnen und ausweisen.

All das ruft nach einer viel stärkeren Vorrangstellung der Sanierung und des Umbaus gegenüber Neubauten. Für die Glaubwürdigkeit der Maßnahmen zur Beendigung der Erderhitzung ist es wichtig, dass die Herkunft der Rohstoffe transparent wird, um die wahre Nachhaltigkeit erkennbar werden zu lassen.

Die durchschnittliche Wohnfläche, die im Nachhaltigkeitsbericht ausgewiesen wird, wird in ihrer Relevanz weiter zunehmen und sollte differenzierter verfolgt werden. Je mehr im urbanen Raum gemeinschaftliche Flächen in Gebäuden, im Quartier, im Stadtteil vorhanden sind (nicht nur Freiraum, sondern auch kostenlos oder niedrigschwellig zugängliche Bewegungsmöglichkeiten in Kantinen, Cafés, Bibliotheken, Kulturräumen, Bürgerhäusern, Co-working spaces, Sportflächen u.ä.), desto besser können Menschen auch mit kleineren Wohnungen auskommen. Wohnungsgrößen, Freiräume und gemeinschaftliche Räume sind Faktoren, die miteinander eng verbunden sind. Der Nachhaltigkeitsbericht sollte daher zusätzlich zur durchschnittlichen Wohnfläche die Zahl der Singlehaushalte (nach Geschlecht und Altersklassen), den Verlust an Freiflächen, und die Entwicklung gemeinschaftlicher Räume beziffern. Dies wirkt gegen die Vereinsamung in der Gesellschaft, stärkt die psychische Gesundheit und Resilienz. Wir benötigen eine aktive Anti-Einsamkeitspoli:k und des lokalen Zusammen. Die Voraussetzungen müssen im Rahmen der Stadt(teil)planung gemeinsam mit den Bürge-rinnen und Bürgern geschaffen werden. Natürlich freuen wir uns sehr über Nachrichten wie die über das Wilhelmsburger Projekt im Rathausquartier, in dem Bauschutz 70 % des Betons aus recyceltem Schutz bestehen soll und der Bau selbst abbaubar auch sonst flexibel in der Nutzung werden soll. Ansätze wie diese sollten aber zur Regel werden.

Autobahn- und U-Bahnbauvorhaben stellen sehr hohe Investitionen mit enormen CO2-Emissionen und weiteren negativen Umweltfolgen dar und sind in hohem Maße kontra-produktiv für Beendigung der Klimaerwärmung. Was trägt die A26 zum Umweltverbund mit dem Umland bei? Insbesondere behindern sie die bitter benötigten kurz-/mittelfristig erzielbaren CO2-Reduktionen mit Bahn, Straßenbahn und Bus. Aber auch der langfristige Nutzen bezogen auf zukünftige Verkehrsbedürfnisse gegenüber Alternativen ist nicht belegt.

Das Vertrauen in die Umsetzbarkeit der Ziele zum Stopp der Klimaerwärmung leidet noch an der mangelnden Nachvollziehbarkeit der Zuständigkeiten (etwa um den Anteil der erneuerbaren Energien von 15 auf 65 % zu erhöhen) und der personellen und budgetären Kapazitäten. Diese klar auszuweisen, sollte Aufgabe des Nachhaltigkeitsberichtes sein.

Anpassung an die Folgen des Klimawandels

Die Weiterentwicklung des Klimafolgen-Monitoring zu einem Klima-Informationssystem, das Rückschlüsse auf die Vulnerabilität Hamburgs gegenüber den Wirkungen des Klimawandels, den Erfolg bisheriger und die Notwendigkeit weiterer Anpassungsmaßnahmen zulässt, ist ein richtiger Schritt, um eine umfassende Anpassungsstrategie zu entwickeln.

Der Zukunftsrat begrüßt den vom Bundeskabinett im Juli 202ti verabschiedeten Gesetzesvor-schlag, der einen verbindlichen Rahmen für Klimaanpassung und Risikovorsorge auf allen Ebenen der Gebietskörperschaften vorsieht. Es soll bis Ende 2024 eine Anpassungsstrategie mit messbaren Zielen vorgelegt werden. Darauf sollte Hamburg allerdings nicht warten, denn nichts ist wahrscheinlicher als eine Nichteinhaltung der Terminierung. Hamburg ist mit seinen Handlungsfeldern seit seinem Aktionsplan Anpassung an den Klimawandel (2013) und dem Transformationspfad aus der ersten Fortschreibung des Klimaplans gut auf dem Weg und sollte sich durch die Vorgänge auf Bundesebene in der Umsetzung des Aktionsplans nicht bremsen lassen. Vielmehr sollte parallel tatkräftig an der Hamburger Klimaanpassungs-strategie gearbeitet werden, ohne dabei die Verknüpfung zur zweiten Fortschreibung des Klimaplans zu verlieren. Die Strategien sind sowieso (mindestens) alle vier Jahre zu über-arbeiten und die jüngste Klimawirkungs- und Risikoanalyse1 liegt ja erst zwei Jahre zurück. Vorsorge und Eigenvorsorge der Bürgerinnen und Bürger für extreme Hitze, Dürre und Stark-regen – auch starker oder schwerer Schnellfall! – sollen durch entsprechende Maßnahmen gestärkt werden.

Wichtig bei dem bevorstehenden Bundesgesetz ist, dass es vorsieht, regelmäßig Daten zu Schadenssummen zu erheben, die auf Schäden durch Wetterextreme zurückzuführen sind, sowie zu den Ausgaben des Bundes für die Klimaanpassung. Hamburg sollte sicherstellen, dass dies auch für Hamburg erfolgt. Diese Information sollte auch neben jeder Veröffentlichung des Bruttoinlandsproduktes erfolgen (SDG tift, denn unser Wachstum beruht bisher auf unserer klimaschädlichen Wirtschaft, Produktion und Konsumption. Wir benötigen einen ganz neuen Ansatz, der die Menschen und die Lebensqualität in den Mittelpunkt stellt.

Nachhaltige Wirtschafts- und Finanzpolitik

Nachhaltige/r Konsum und Produktion

Der Zukunftsrat würdigt das Engagement der Freien und Hansestadt Hamburg, im Rahmen der Hamburger Stadtwirtschaftsstrategie das Gemeinwohl und die Verfolgung der SDGs der Agenda 20ti0 für die öffentlichen Unternehmen zu verankern, insbesondere auch die Klimaneutralität bis 2040.

Die Berichterstattung unternehmerischer Nachhaltigkeit erfährt neue Vorschriften (European Sustainability Reporting Standard ESRS), die im Zuge der Umsetzung der EU Corporate Sustainability Reporting Richtlinie erlassen werden. Auch das Pilotprojekt zur Gemeinwohl-bilanzierung bei der Stadtreinigung wird seine Spuren hinterlassen haben, die helfen wer-den, die im ESRS (noch) nicht abgebildeten Aspekte der Gemeinwohlökonomie weiterhin zu berücksichtigen.

Aber auch die Stadtwirtschaftsstrategie bezieht sich auf „langfristiges“ oder „dauerndes“ Wachstum. Um ein solches Ziel zu verfolgen, muss die Stadt definieren, was sie damit meint. Was soll wachsen? Dauernd? Für immer? Entsprechend aus der Zeit gefallen wirkt, dass das Bruttosozialprodukt (BIP) noch eine so prominente Erscheinung in dem Nachhaltigkeits-bericht genießt. Es ist ja unstrittig, dass dieses Maß in der heutigen Zeit – ganz besonders im Kontext von Nachhaltigkeit – überaus unzulänglich, geradezu kontraproduktiv ist.

Wir halten es für unverzichtbar, dass neue Überlegungen angestellt werden, wie man gesellschaftspolitisch wünschenswerte ökonomische Entwicklung sinnvoll darstellen kann. Eine Maßnahme ist, dieses unmittelbar mit dem Verbrauch fossiler Energien und anderer Ressourcen zusammenhängende Wachstum, das in freien Wirtschaftssystemen sich selbst verstärkt, nicht (nur) in Prozentsätzen auszudrücken. Dies verschleiert den exponentiellen Charakter, der dem Wachstum innewohnt. (Dasselbe gilt für alle Preisentwicklungen.)

Es gibt zahlreiche Alternativen, die versuchen, die Schwächen des BIP zu überwinden. Wir begrüßen die Absichten, dieses Thema zu adressieren und möchten an dieser Stelle nur einen ersten Vorschlag als Mindestanforderung unterbreiten: unmittelbar neben dem BIP mindestens zwei weitere Indikatoren ausweisen:

  • Erstens, ein Schadensindikator, der die Schäden ausweist, die in Hamburg aus unserem Lebenswandel entstanden sind und noch immer entstehen. Dazu müsste auch der Auf-wand für Klimaanpassungsmaßnahmen zählen, denn sie sind auch Folge des schädlichen Lebenswandels. Der BIP weist die Investitionen in die Klimaanpassung aber als positives Wachstum aus. Schließlich sollten auch die Schäden zumindest eine Erwähnung finden, die unser Lebenswandel anderswo verursacht hat und heute noch verursacht.
  • -Zweitens, einen Indikator, der auch die nicht marktwirtschaftlichen Leistungen in Privathaushalten und die ehrenamtlichen Leistungen für die Gesellschaft erfasst.

Die Nachhaltigkeitsstrategie muss Zielwerte setzen. Daher ist die Auseinandersetzung mit der zukünftigen Entwicklung gerade an dieser Stelle besonders wichtig.

Öffentliche Beschaffung und Vergabe

Wir begrüßen, dass die nachhaltige Beschaffung ein Ziel der Stadt ist und der Umweltleitfaden zu einem umfassenderen Nachhaltigkeitsleitfaden weiterentwickelt werden soll.

Damit die Vergabe eine effektive Veränderung zugunsten der Nachhaltigkeit bewirkt, ist es erforderlich, dass die Berücksichtigung der Umwelt- und Nachhaltigkeitskriterien verpflichtend sind. Der gesetzlich zulässige Spielraum für anspruchsvolle Nachhaltigkeitskriterien soll voll ausgeschöpft werden und die Kriterien so ausgestaltet werden, dass sie eine Veränderung zu mehr Nachhaltigkeit auf den Märkten vorantreiben. Auch eine kontinuierliche Ausweitung und Verschärfung der Kriterien, die im Umweltleitfaden verbindlich festgelegt werden, ist dazu erforderlich.

Ein Monitoringsystem benötigt einen aussagekräftigen Indikator für die Gesamtheit der Beschaffungsverfahren, wie ihn z.B. die Bertelsmann Stiftung vorschlägt, nämlich den Anteil der nachhaltigen Beschaffungsverfahren an der Zahl aller Beschaffungsverfahren. Für die nationale Vergabestatistik gibt es eine derartige Kennzahl bereits. Demnach wurden im zweiten Halbjahr 2021 1ti% der Aufträge auf Landesebene Nachhaltigkeitskriterien berücksichtigt und in 11% auf Kommunalebene. Die nationale Vergabestatistik weist einen solchen Indikator bereitsausundenthält sicherlich auch Hamburgs Beitrag, sodass die Basis für diesen Indikator bereits vorhanden sein dürfte. Zielmarke muss hier nah bei 100% liegen, sonst ist eine Nachbesserung der Maßnahmen offensichtlich geboten.

Wir vermissen auch klare Anforderungen, im Vergabeprozess die Integrität der (potentiellen) Anbieter unter die Lupe zu nehmen. Öffentliche Mittel, insbesondere bei großen Aufträgen, dürfen nur an seriöse Lieferanten und Dienstleister vergeben werden (dies war in der Vergangenheit nicht immer soft. Diese Prüfung schließt mehr ein als einen Blick in das Wettbewerbsregister, in dem nur strafrechtlich verurteilte Unternehmen aufgenommen werden. Außerdem sollte die Unternehmensstruktur der Anbieter vollständige Transparenz der wirtschaftlich Berechtigten (beneficial owner) aufweisen.

Förderung von nachhaltigen Produktionsmustern

Wir halten das Programm „PROFI Umwelt / PROFI Umwelt TRANSFER“, mit dem Hamburger Unternehmen aller Größen aus allen Branchen und Technologien bei der Umsetzung von Nachhaltigkeit gefördert werden, für eine sinnvolle Initiative mit Wirkungspotential. Programme wie diese sollten nicht als einmalige Investitionsbeträge dargestellt, sondern auch in ihrer Wirkung weiterverfolgt und darüber berichtet werden. Anzahl der geförderten Projekte (hier ti4, 2014-2022ft, das Fördervolumen (hier 19 Mio €), private Mittel (hier 9 Mio €) und die Umweltwirkung über mehrere Jahre sollten im oder über den Nachhaltigkeitsbericht zugänglich gemacht werden, damit sie ihre Vorbildwirkung entfalten können.

Wir begrüßen die Teilnahme Hamburgs im Netzwerk der „Bio-Städte“ und den Anstieg der ökologisch bewirtschafteten Agrarflächen auf 3,9%. Diesen Erfolg sollte der Nachhaltigkeits-bericht mit einem quantitativen Indikator auch weiterverfolgen. Der Bio-Anteil des Waren-einsatzes in Hamburger Schulen muss kontinuierlich steigen und diese Steigerung jetzt kommuniziert werden, damit entsprechende Maßnahmen geplant werden können.

Senkung des Ressourcenverbrauchs & Steigerung der Rohstoffproduktivität

Wir kommen nicht umhin, Suffizienz als eine zentrale Säule einer städtischen Nachhaltigkeits-strategie zu manifestieren. Hierauf sollte die Stadt ein hohes Gewicht legen und Bevölkerung und Wirtschaft mit Anreizen mobilisieren, kreative Wege zur Senkung des Ressourcen-verbrauchs im täglichen Konsum und Steigerung der Rohstoffproduktivität und der Kreislauf-wirtschaft zu bewirken.

Gerade im Bausektor liegen viele ungenutzte Potenziale, die von vielen Projekten und innovativen Ansätzen aufgegriffen wurden und auf Anwendung warten. Die kürzlich im Projekt CIRCuIT erstellte DIN SPEC 91434 / Pre-Demolition-Audit ist ein Beispiel dafür. Wir empfehlen derartige Instrumente bei Abriss- und Bauvorhaben der Stadt konsequent einzusetzen.

Die Einrichtung des Circular Hub Nord in Hamburg halten wir für einen wichtigen Schritt, dem weitere folgen müssen. Das Circular Hub muss schnell ausgebaut werden und viele Unternehmen aus allen Bereichen der Wertschöpfungskette und des Produktlebenszyklus einbeziehen.

Nachhaltiger Tourismus

Die Förderung des nachhaltigen Tourismus in Hamburg steckt noch in den Kinderschuhen und muss noch massiv ausgeweitet werden. Angebote wie „Hamburg CARD Green“ und eine Online-Platform für nachhaltige Tourismusangebote in Hamburg sind willkommene Instrumente, richten sich aber nur an Touristen, die Hamburg besuchen. Eine Veränderung des Reiseverhaltens der Hamburgerinnen und Hamburger wird so nicht erreicht. Die zentrale Information, dass das Fliegen die klimaschädlichste Form der Mobilität ist, muss unmissverständlich kommuniziert werden. So sollte die Stadt Hamburg durchaus von Inlandsflügen abraten. Dass sich die Schädlichkeit sich nicht nur auf CO2-Emissionen beschränkt, sondern auch andere Emissionen und Partikel sowie die Erzeugung von Kondensstreifen umfasst, die klimaerwärmend wirken. Dies sollte aus einem Nachhaltigkeitsbericht hervorgehen.

Ebenso problematisch sind noch die Kreuzfahrten, die zum größten Teil noch alles andere als nachhaltig sind. Sie starten oder machen häufig Station in Hamburg, aber zu wenige Schiffe nutzen das Angebot oder nutzen es nur sehr kurz. Das Landstromangebot in Hamburg muss ausgebaut und mit effektiven Anreizen/Pönalen versehen werden. Umso mehr freuen wir über die Nachricht, dass die Umstellung auf Emissionsfreiheit bei der Schifffahrt auf der Alster neuen Schub und Förderung erhält. Die Übergangsperiode bis 20ti0 ist allerdings für einen so prominenten Teil der Mobilität mitten in der Stadt enttäuschend. Hier wäre eine stärkere Förderung zu überlegen, um eine Beschleunigung herbeizuführen.

Förderung von Nachhaltigkeit bei Veranstaltungen

Wir begrüßen die Bemühungen um nachhaltige Veranstaltungen, die Kooperation mit dem Netzwerk Green Events Hamburg und den systematischen Ansatz zur Entwicklung von Kriterien für nachhaltige Veranstaltungen.

Diese Bemühungen dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass gerade Großveranstaltungen häufig enormen Verkehr verursachen und wenn dieser mit Pkws statfindet, können die Veranstalter vor Ort auch mit den pfiffigsten Kriterien die negativen Umweltolgen nicht kompensieren. Für das An- und Abreisen sind hier massive Anreize und/oder finanzielle Nachteile in Betracht zu ziehen.

Klimafeindliche Megaevents, wie die Cruise Days oder die Harley Days sind nicht mehr zeit-gemäß. Hier zeigt sich Hamburg als Ausrichter von einer gänzlich sorglosen Seite mitten in der Klimakrise und sendet falsche Signale zur Nachahmung in die Gesellschaft.

Das Mitausrichten der Herren-Fußballeuropameisterschaft der Männer im Jahr 2024 sollte in dieser Hinsicht ein unvergesslicher Meilenstein werden und wäre es wert, Kreativworkshops und Online-Beteiligung durchzuführen. Die Hamburger Wirtschaft könnte dazu beitragen. Die Nachhaltigkeitsmaßnahmen sollten nicht nur einmalig sein, sondern für Hamburger Groß-veranstaltungen dauerhafte und hochwirksame Nachhaltigkeitsmaßnahmen vorleben. Wir finden auch gut, dass es den Eventausschuss gibt, der die Nachhaltigkeitskriterien berücksichtigt und die Öffentlichkeit mit einbezieht. Entscheidend wird sein, dass sowohl die Hamburgerinnen und Hamburger als auch die Besucherinnen und Besucher von außen die Vorteile des nachhaltigen Verkehrs vom ersten Moment an und während der ganzen Meisterschaft erleben. Dies unabhängig davon, ob es heiß oder kalt, trocken oder regnerisch ist. In diesem Zusammenhang muss man auch daran denken, dass Hamburg viel zu wenig ständige öffentliche Toiletten hat. Dies ist nicht nur bei Großveranstaltungen eine Herausforderung, sondern ein ständiges Problem einer älter werdenden Gesellschaft, aber auch für Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen. Und die temporären Lösungen dienen nicht gerade zur Verschönerung des Stadtbildes.

Trinkwasser ist in Anbetracht zunehmender Dürreperioden und Hitzesommer eine der kost-barsten Ressourcen. Grundsätzlich ist Deutschland ein wasserreiches Land und der direkte Verbrauch blieb über die letzten Jahre überwiegend konstant. Auch in Hamburg ist grund-sätzlich ausreichend Trinkwasser vorhanden. Dennoch ist die Bereitstellung immer mit Energieaufwand und Materialeinsatz verbunden. Der tägliche Trinkwasserverbrauch privater Haushalte in Hamburg liegt zuletzt (2020ft bei 1titi,57 Litern je Einwohner*in. Ob unsere Nachbargemeinden auch in Zukunft Hamburg mit Trinkwasser versorgen können, ist nicht gewiss. Und ob die Toilettenspülung mit Trinkwasser auch in Zukunft noch angemessen ist, muss hinterfragt werden.

Die Entwicklung der Abfallmengen (inkl. getrennt erfassten Wertstoffen pro Kopf) stagniert seit zehn Jahren bei 0,44 Tonnen! Hier sind dringende Maßnahmen erforderlich. Mutmaßlich trägt dazu der Online-Handel mit seinem Verpackungsmüll erheblich bei. Hamburg sollte proaktiv dazu beitragen, dass leichtfertige, vermeidbare Transporte und Verpackung von Konsumgütern geächtet werden. Es ist eine Bildungsaufgabe und sollte fester Bestandteil von BNE werden.

Finanzpolitik

Wir erkennen die Anstrengungen der Hamburger Finanzpolitik an, solide Haushalte vorzulegen und dennoch die notwendigen Maßnahmen, die die Transformation erfordert irgendwie zu unterstützen. Wir sehen aber, dass mit der vorhandenen finanziellen Ausstattung nicht genug möglich ist. Wir stellen angesichts der enormen Herausforderungen fest, dass die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse so nicht haltbar ist. Die multiplen Krisen stellen eine Ausnahmesituation dar, deren Bewältigung mit strikter Sparpolitik nicht möglich ist. Und auch nicht nötig ist, denn die Staatsschuldenquote der Bundesrepublik ist die niedrigste unter den G7, und weit niedriger als der Durchschnitt der Euro-Staaten, der EU oder der OECD. Hamburg sollte sich daher auf Bundesebene für das Aussetzen der Schuldenbremse einsetzen, denn Untätigkeit können wir uns dort nicht leisten, wo Investitionen in die Transformation, in Bildung im Allgemeinen und in Bildung für Nachhaltigkeit im Besonderen, sowie für Demokratie und Digitalisierung so dringend benötigt werden.

III.        Teilhabe und sozialer Zusammenhalt

Ein wesentlicher Aspekt der gesellschaftlichen Teilhabe ist die Forderung nach Bürgerbeteiligung, die expliziter Gegenstand von SDG 16 ist. Wir behandeln daher einige Aspekte von SDG 16 hier mit.

SDG 2 Kein Hunger

Unter SDG 2 liest sich der Beitrag Hamburgs, als ob es in Hamburg keinen Hunger gäbe, der in die Verantwortung des Senats fallen würde. Die Bezüge der Stadt zu SDG 2 erschöpfen sich in nachhaltiger Lebensmittelproduktion und Reduktion der Lebensmittelverschwendung. So wichtig wie die Zunahme des ökologischen Landbaus und die Reduktion des Stickstoffüberschusses der Landwirtschaft sind, so wenig tragen sie in absehbarer Zeit zur Behebung des unmittelbaren Hungers in Hamburg. Und so lobenswert und wichtig die aufgeführten Maßnahmen zur Förderung von Partnerschaften mit den Hamburger Tafeln auch gegen Lebensmittelverschwendung sind, der Hunger hier ist nicht das Ergebnis von Lebensmittelverschwendung.

Hier muss Hamburg Flagge zeigen und vor allem die Zahlen der Personen, die sich in dieser wohlhabenden Stadt an die Tafeln wenden müssen, sammeln und offenlegen und daraus zielgerichtetere Maßnahmen ableiten als die genannten. Als Indikatoren schlägt der Zukunftsrat vor:

  • Anzahl der sozialen und Hilfseinrichtungen, die die Hamburger Tafel regelmäßig beliefert (lt. Webseite der Tafel z.Zt. mindestens 17 in Hamburg und weitere Tafeln in den Nachbarbundesländern).
  • -Anzahl der Personen, die durch die Tafeln versorgt werden. Z.B. durch monatliche stichprobenweise Erfassungen bei den Ausgabestellen.

Sollten die Tafeln technische und personelle Unterstützung für die Erfassung dieser Informationen benötigen, so wäre dies eine Aufgabe für die Stadt. Den Hunger in der Stadt zu kennen, muss Hamburg wollen und auch die Bürgerinnen und Bürger wissen lassen.

Darüber hinaus schlägt der Zukunftsrat vor, dass durch finanzielle Unterstützung freiwilliger Bürgerinnen und Bürger und Stadtteilinitiativen in Hamburg möglichst viele Kantinen mit täglichem Angebot warmer Speisen (auch ohne Armutsnachweis) auszuweisen. Viele, vor allem ältere Menschen drohen in Armut zu geraten, was auch zur Vereinsamung führt. Solche Speiselokale wären gleichzeitig ein wichtiger Beitrag zur gesellschaftlichen Teilhabe und Resilienz der Bürgerinnen und Bürger.

Nachhaltige Städte und Gemeinden & Partizipation

Hamburg will sein Verwaltungshandeln an den Nachhaltigkeitszielen messen und “auch über die Stadtgrenzen hinaus eine Vorreiterrolle einnehmen”. Dies wird eine erhebliche Verstärkung der Mobilisierung der Stadtgesellschaft erfordern und gelingt am besten, wenn Bürgerinnen und Bürger in ihren Quartieren und Stadtteilen selbst aktiv werden und Verantwortung in ihrer eigenen Lebensumgebung übernehmen. Vor Ort sind die Menschen Erfahrungsexpert*innen und können die wenige Zeit, die sie für ehrenamtliche Tätigkeiten haben, effektiv einsetzen. Was können Menschen in den Stadtvierteln tun, um die Bewohnbarkeit der Erde eigen-verantwortlich zu schützen? Wie können sie niedrigschwellig aktiv werden, so dass sie sich als Akteur*innen der sozial-ökologischen Transformation in ihrer Umgebung und in ihrem Alltag verstehen und erleben? Diese Fragen haben Mitglieder des Zukunftsrat Hamburg bewegt, anfängliche Geburtshilfe zur Vernetzung bestehender und zukünftiger Zukunftswerkstätten zu leisten. Daraus entstand in Kooperation mit der Patriotischen Gesellschaft von 1765 e.V., Mehr Demokratie Hamburg e.V., Klimawoche e.V., sowie hamburg.global und Grünes Billstedt die Initiative “lokalkraft – für ein zukunftsfähiges Hamburg”. Die Initiative will den Menschen in den Stadtvierteln zum Gefühl der Selbstwirksamkeit verhelfen und so für die Zukunftsfähigkeit ihres Quartiers oder Stadtviertels mobilisieren. Die Stadtviertel mit ihren lokalen Zukunftswerkstätten sind wortwörtlich fundamental, um eine sich selbst tragende Transformation der Stadt zu ermöglichen. Die Vernetzung lokaler Initiativen unterstützt das Voneinander-Lernen, verstärkt die Wirksamkeit der Aktivitäten und kann die Erfolge beschleunigen. Es sind aber auch mehr Kompetenzen auf lokaler Ebene nötig. Der Zukunftsrat regt an, lokalen Initiativen Bürgerbudget zur Ermöglichung von lokalen Aktivitäten und Maßnahmen zur Verfügung zu stellen.

  1. Bildung und Wissenschaft

Bildung für nachhaltige Entwicklung

Zukunftsrat Hamburg hat sich von Anfang an über all die Jahre an drei der sechs BNE-Foren (Kitas, Außerschulische Bildung und Hochschulen) bis zur Erstellung des Masterplans BNE aktiv beteiligt und ist noch immer in zwei der Foren aktiv. Wir begrüßen das große anhaltende Engagement von BUKEA ausdrücklich und beglückwünschen auch zu den nationalen und inter-nationalen Auszeichnungen, die sie für diese Arbeit und die umfangreiche Einbeziehung der Zivilgesellschaft erhalten hat. Im gleichen Atemzug bedauern wir, dass für diesen Bereich, der so entscheidend für die Zukunftsfähigkeit Hamburgs ist noch immer die finanziellen Mittel so knapp ausfallen. Hier muss dringend nachgebessert werden. Eine Verdoppelung der jährlichen Investitionen sollte als Zielmarke für die kommenden Jahre fest vorgenommen werden.

Dabei sagen die absoluten Zahlen, die als Indikator für die Umsetzung des Masterplans ausgewiesen werden, lediglich aus, dass die Ausgaben seit Verabschiedung des Masterplans im Mai 2021 durch den Hamburger Senat in diesem Bereich gestiegen sind. Logisch. Der Wert der Aussagen allein bleibt jedoch gering. Ab jetzt, nachdem die institutionellen Strukturen zumindest anfänglich geschaffen sind, sollten zusätzliche Werte erfasst und miteinander in Beziehung gesetzt werden. Wir schlagen vor, dass z.B. folgende Kennzahlen kontinuierlich erfasst werden: pro Forum sollten die Anzahl Unterrichtsveranstaltungen, Anzahl Veranstalter, Anzahl Lehrkräfte (genderspezifisch), Anzahl erreichter Besucher*innen der Lehrveranstaltungen (genderspezifisch und unterteilt nach verschiedenen Kriterien) sowie die Bewertungen der Teilnehmenden erfasst und veröffentlicht werden. Dafür müssen auch ambitionierte Ziele als Teil der Nachhaltigkeitsstrategie formuliert werden. Bei einer großen Zahl von Einzel-indikatoren sollten pro Forum auch Indizes gebildet werden, die einen Gesamteindruck über die Fortschritte zum Ausdruck bringen. Auch über diese Indizes pro Forum kann ein Gesamt-index gebildet werden.

Bildung im Allgemeinen

Ähnliches gilt der Anzahl der Stellen an staatlichen Schulen für Pädagoginnen und Pädagogen. Absolute Zahlen und deren Entwicklung über Jahre haben geringen Aussagewert, solange sie nicht auf die Anzahl der SchülerInnen in staatlichen Schulen in Beziehung gesetzt werden und solange sie keinen Zielwerten gegenübergestellt werden, die eine gute Qualität des Unterrichts gewährleisten können.

Der differenzierte Ausweis der Verteilung der Abschlussqualifikationen über die Jahre ist eine wichtige Dokumentation über unser Bildungssystem. Allerding fehlt es an dem Ausweis der gesellschaftlichen Bedeutung dieser Information. Eine statistische Verfolgung der Durchgänge, wozu die unterschiedlichen Bildungsstufen führen, fehlt: Welche Schulabschlüsse haben zu welchen Berufen oder zu welchen Studienfächern geführt (genderspezifisch), welche Berufs-abschlüsse und Studiengänge zu welchen Berufen in Realität. Auch der Ausweis der Abhängigkeit der erreichten Bildungsstufen vom familiären und migrantischen Hintergrund bedarf eines systematischen quantitativen Ausweises. Hier ist auch ein klarer Bezug zu SDG 3 Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum gegeben.

Die im Nachhaltigkeitsbericht erwähnten Maßnahmen aus dem Gleichstellungspolitischen Rahmenprogramm sind wichtig und müssen energisch weiterverfolgt werden. Aber auch hier fehlt es an dem Ausweis quantitativ verfolgbarer Ziele zur Überwindung der tradierten Vorstellungen über Geschlechterrollen in der Bildung. Dies sollte explizit in der Nachhaltigkeitsstrategie adressiert werden.

Versorgungsquote mit Wohnheimplätzen beim Studierendenwerk Hamburg wird zwar als Prozentsatz ausgewiesen und wirkt klein, sagt aber immer noch nichts darüber aus, ob dies genügt oder nicht. Die Nachrichtenlage lässt erwarten, dass der Bedarf bei Weitem nicht gedeckt wird. Als Bezugsgröße drängt sich die Anzahl der Anträge für einen Wohnheimplatz auf. Die Abdeckquote sollte als Zielgröße in der Nachhaltigkeitsstrategie definiert werden.

Der Zukunftsrat weist außerdem darauf hin, dass mindestens zwei Querschnittsaspekte der Bildung einer eigenständigen Aufmerksamkeit bedürfen: Politische Bildung, breite Bildung in Demokratie und Bildung in Digitalisierung. Letzteres sowohl im Sinne der Fähigkeiten zur Erfassung, Auswertung und Veröffentlichung von Daten als auch zu deren Nutzung durch breitere Bevölkerungsschichten einschließlich der Zivilgesellschaft. Daher sollten alle Bildungsbereiche Veranstaltungen mit diesen Inhalten als Schwerpunkt gesondert gekennzeichnet und ausgewertet werden – dies nicht nur als relevante Aspekte von BNE, sondern im gesamten Bildungssystem. Gerade auf diesen Gebieten hat die Bundesregierung leider gänzlich kontraproduktive Signale gesendet, was die Finanzierung dieser wichtigen Aufgaben betrifft.

  1. Querschnittsthemen & Digitalisierung

Geschlechtergleichheit

Wir schätzen es hoch ein, dass Hamburg über ein Gleichstellungspolitisches Rahmenprogramm und einen Gleichstellungsmonitor verfügt und dass der Nachhaltigkeitsbericht mehrere Aspekte aufgegriffen hat.

Es ist erfreulich zu sehen, dass der Anteil der Beamtinnen und weiblichen Tarifbeschäftigen in Führungs- und Spitzenpositionen (B2-B6) der FHH in sieben Jahren von 17,2 auf 29,1 % gestiegen ist und dass die HamburgerInnen bereit sind, knapp die Hälfte der Bürgerschafts-mandate (46,3% bei der Wahl 2020) an Frauen zu übertragen. Die ausgewiesenen Indikatoren sind alle für sich genommen Mosaiksteine im Gesamtbild, sind aber noch lückenhaft. Insbesondere wird der Anteil von Frauen bei der Sorgearbeit (nicht nur bei Alleinstehenden) nicht sichtbar, was ein wesentliches Merkmal für die strukturelle Ungleichheit im Erwerbsleben bedeutet.

Geschlechtergerechtigkeit ist allerdings nicht nur ein Querschnittsziel für die öffentliche Hand, sondern für die gesamte Gesellschaft, insbesondere auch für die Wirtschaft Hamburgs. Obwohl sich die SDG in erster Linie an Politik und öffentliche Verwaltung richten, spielt hier die Wirtschaft eine entscheidende Rolle. Mit dem Hamburger Corporate Governance (Jan. 2020ft trägt FHH einen wichtigen Beitrag dazu bei, allerdings sollten die Anforderungen kontinuierlich nachgeschärft und auch hier terminierte Ziele festgelegt werden.

Der Nachhaltigkeitsbericht sollte auch die Entwicklung in der Hamburger Wirtschaft widerspiegeln, sonst bleibt das Gesamtbild unvollständig. Größere Unternehmen sind durch ihre Verpflichtungen zur Nichtfinanziellen Berichterstattung gemäß EU CSR-Richtlinie ohnehin aufgefordert auch über den Anteil weiblicher Führungskräfte zu berichten. Die Handels-kammer Hamburg berichtet erfreulicherweise schon recht differenziert darüber. Im letzten Bericht gab sie an, dass 25,6% der 204.225FührungspositionenderMitgliedsunternehmen der Handelskammer von Frauen besetzt, bei Prokuristen 27,7% und bei Inhabern 24%. Bei Geschäftsführung und Vorstand liegen diese Anteile viel zu niedrig (14,6 bzw. 12%ft. Im Handwerk lag der Anteil von Frauen bei neu abgeschlossenen Berufsausbildungsverträgen unter 20% (2021ft. Da im Handwerk, wo KMUs vorherrschend sind, die europäische Richtlinie nicht greift, bedarf es spezifischer Instrumente des Monitorings. Der Zukunftsrat begrüßt daher die Initiative des Aktionsbündnisses für Bildung und Beschäftigung Hamburg zur Förderung von Frauen im Hamburger Handwerk, in dem tradierte Geschlechterstereotypen und -rollen noch extrem stark dominieren. Wirtschaft und Handwerk sollten zum Gleichstellungsmonitoring systematisch beitragen. Das Gleichstellungsmonitoring sollte nicht nur in Abständen von mehreren Jahren vorgelegt werden, sondern kontinuierlich online aktualisiert werden. Zusammen mit den Anteilen in der öffentlichen Hand, der öffentlichen Unternehmen und der Privatwirtschaft ließen sich aussagefähige Indikatoren für Hamburg ermitteln.

Der Gleichstellungsmonitor liefert eine differenzierte Detailstruktur für die Berichterstaoung sowohl für die öffentliche Hand als auch für die Privatwirtschaft. Daran sollten sich alle Sektoren orientieren und die für sie relevanten Teile zu den Abschnioen liefern (Partizipation, Bildung, Ausbildung und wissenschaftliche Qualifizierung, Einkommen, Erwerbstätigkeit, Grundsicherung, Ältere Menschen, Lebenswelt, Kriminalitätft.

Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen & Partnerschaftn zur Erreichung der Ziele

Die deutsche Nachhaltigkeitsstrategie hält fest: „SDG 16 als eines der Schlüsselziele der Agenda 2030. Ebenso wie es ohne Frieden und gute Regierungsführung keine nachhaltige Entwicklung geben kann, kann es ohne nachhaltige Entwicklung keinen Frieden und für die Menschen kein Leben in Würde und Freiheit geben. … Die Umsetzung von SDG 16 ist eine der Grundvoraussetzungen für die Erreichung vieler weiterer SDGs. … In der Krisenprävention, Konfliktbewältigung und Friedensförderung hat die Förderung von Rechtsstaatlichkeit und guter Regierungsführung zentrale Bedeutung. Präventiv schafft ein funktionierender demokratischer Rechtsstaat die Voraussetzungen, um Konflikte gewaltfrei auszutragen.“

Und zum SDG 17: „Nur mit einer solchen globalen Partnerschaft – in gegenseitigem Respekt, mit gemeinsam getragenen Werten und der gebündelten Kraftanstrengung aller Akteure – können die Ziele der Agenda erreicht werden.“

Dem ist nichts hinzuzufügen, außer dass diese Dimensionen im Hamburger Nachhaltigkeits-bericht absolut unterrepräsentiert sind. Dies liegt mutmaßlich daran, dass Hamburg sich in dem ersten VLR nur als Kommune darstellt und seine Landesfunktion weitgehend außer Acht lässt. Dies kann so nicht bleiben. Das Bundesland Hamburg nimmt wichtige nachhaltigkeits-relevante Aufgaben wahr, wie etwa die für eine demokratische Gesellschaft zentralen Aspekte Landesgesetzgebung, Justiz, Polizei, Gesundheitssystem und Finanzaufsicht sowie seine Rolle im Bundesrat.

In der heutigen Zeit spielen die Governance-Aspekte eine immer größer werdende Rolle. Die gesellschaftlichen Herausforderungen sind groß, aber das Vertrauen in Politik und Verwaltung ist besorgniserregend niedrig, wie mehrere Studien besagen. Dieses Vertrauen ist aber unverzichtbar, damit die gesellschaftliche Transformation sowohl in ihren beabsichtigten als auch in den unvorhergesehenen und ungewollten Dimensionen stattfinden kann. In diesem Zusammenhang freut sich der Zukunftsrat darüber, dass sich Hamburg der internationalen Bewegung Open Government Partnership Local (OGP Local) angeschlossen hat. Denn das OGP-Netzwerk stellt gerade die Governance-Aspekte der Regierungsarbeit (v.a. Inklusion, Transparenz von Politik und Verwaltung, Rechenschaftspflicht, Korruptionsbekämpfung, Zugang zu Justiz, Stärkung der Zivilgesellschaft, Klima- und Umweltschutz), d.h. die Verwaltungskultur in den Mittelpunkt und betont die Notwendigkeit der Zusammenarbeit mit den Bürgerinnen und Bürgern und der Zivilgesellschaft. Auf Bundesebene engagieren sich inzwischen neun Ministerien mit expliziten OGP-Vorhaben. Alle Hamburger Behörden sollten sich mit den Open Government Prinzipien vertraut machen, sie anwenden und – gemeinsam mit der Stadt-gesellschaft – die Vielzahl der drängenden Aufgaben angehen.

Wir empfehlen der Freien und Hansestadt Hamburg dem Beispiel der Bundesregierung zu folgen und einen Senatsmonitor zu entwickeln, in dem sich die Öffentlichkeit kontinuierlich umfassend informieren kann, in welchem Stadium sich ein Vorhaben des Senats befindet. Ebenso sollte jedes Gesetzgebungsvorhaben vom Entwurf bis zur elektronischen Verkündung (und damit zum Inkrafttreten) in einem Gesetzgebungsportal den Gesetzgebungsprozess nachvollziehbar machen.

Hier ist der Nachhaltigkeitsbericht zu dünn. Wie ist Hamburg als wichtiger Hafen für die ganze Republik bei der Bekämpfung illegaler Finanz- und Waffenströme aufgestellt, wie bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität (SDG 16.4)? Zur Korruptionsbekämpfung (16.5) – besonders wichtig in einem internationalen Drehkreuz wie Hamburg und seit dem Ausbruch der kriegerischen Auseinandersetzungen – berichtet der VLR nur von der (wegen Corona stark gesunkenen) Zahl von Vorträgen und Veranstaltungen zum Thema. Dabei ist es wichtig, dass nicht nur die Antikorruptionsstelle, sondern alle Behörden konkrete Maßnahmen zur Prävention und Aufdeckung von Korruption vorweisen – nicht nur Bestechung, sondern auch die zunehmend strategischen Formen der Korruption. Prozesstransparenz, klare Zuständigkeiten, Interessenregister hoher Amtsträger, einschließlich Justiz und Strafverfolgung. Je größere Summen (in Zukunft) bewegt werden (sollen), desto genauer muss man hinschauen. Alle Formen der Auftrags- und Lizenzvergabe aber auch in- und ausländische politische Einflussnahme sind hier zu nennen. Vorschläge für entsprechende Indikatoren hat die Hamburger Zivilgesellschaft bereits in der Vergangenheit vorgelegt.

Erfüllen Hamburgs Institutionen die heutigen Ansprüche an Transparenz (16.6ft: Muss man die Informationen beantragen? Wie lange muss man auf sie warten? Wie inklusiv, wie partizipatorisch und wie repräsentativ ist die Entscheidungsfindung? (16.7) Der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund ist über viele Jahre gestiegen und wird mit zusätzlichen Arbeitskräften weiter zunehmen. Es kommen nicht nur Arbeitskräfte, es kommen Menschen. Diese Menschen gilt es zügig zu integrieren und ihnen eine Stimme und ein Stimmrecht in ihrer Lebensumgebung zu geben, damit sie bei Themen in ihrem Lebensumfeld Initiativen mitunterzeichnen dürfen und sich nicht ausgeschlossen fühlen. Wie leicht ist der Zugang zu öffentlichen Informationen? Wo steht Hamburg mit OZG, mit Open Data? (16.10) Das sind die Fragen, deren Antworten über das Vertrauen entscheiden.

Der Zukunftsrat erwartet, dass alle Behördenleiter und -leiterinnen sich auch ausdrücklich als zuständige für „gute Regierungsführung“ im Sinne von SDG 16 und Open Government verstehen. Daher schlägt der Zukunftsrat vor, dass sie für verschiedene Aspekte spezifische Beauftragte (z.B. Partizipations-, Antikorruptions- und Open Data-beauftragte/n) in ihren Teams ernennen und eine entsprechende Ausbildung sicherstellen.

Die Bedeutung von Partnerschaften in allen Ausdehnungen ist wichtiger denn je. Um weiterhin seiner Rolle als „Tor zur Welt“ gerecht zu werden, sind neue und neuartige Formen nötig.

Ein Nachhaltigkeitsbericht für Hamburg sollte die Politik auch nicht außer Acht lassen. Auch hier lohnt der Blick auf Open Government Partnership, die sich auch für offene Parlamente (Open Parliament) einsetzt. Darunter versteht man neben der aktiven Wahrnehmung der parlamentarischen Kontrolle, das Ergreifen legislativer Maßnahmen zur Förderung der Werte der offenen Verwaltung durch entsprechende Gesetze und Genehmigung von Haushalten für die Reformen für offene Verwaltung sowie Öffnung der parlamentarischen Prozesse durch Übernahme der Grundsätze der offenen Verwaltung: Transparenz, Rechenschaftspflicht, sowie Inklusion und Partizipation an parlamentarischen Verfahren. Außerdem sollte ein offenes Parlament den Raum für Dialog schaffen, der erforderlich ist, um den parteiübergreifenden Dialog zu fördern und die Reformen der Verwaltung zu unterstützen und zu institutionalisieren. Stichworte wie Interessen- und Lobbyregister, Beteiligung an Gesetzgebung und Bürger*innenräte betreffen einige der anstehenden Parlamentsreformen.

Industrie, Innovation und Infrastruktur & Digitalisierung

Die bisherige Wirtschaftspolitik, die dem Wettbewerb und insbesondere dem Export eine nahezu heilige Rolle zugewiesen hat, wird vor allem aus sicherheits- und geopolitischen Gründen nicht mehr so wie früher funktionieren. Sie wird die zu lange genährten Vorstellungen des grenzenlosen Wachstums und die Wohlstandsversprechen nicht mehr einlösen können. Ohne die gewaltigen Herausforderungen hier aufzuzählen, erinnert der Zukunftsrat Hamburg daran, dass die Transformation erheblich schneller stattinden muss als bisher. Dies gilt insbesondere auch für den Hamburger Hafen und die dort vorhandenen Flächenpotentiale. Für diesen Transformationsprozess wird die ganze Stadtgesellschaft auf allen Ebenen benötigt. Dies wiederum kann nur gelingen, wenn der Zivilgesellschaft in ihrer Vielfalt erheblich stärkere Förderung zukommt.

Je früher die notwendigen Veränderungen in der Lebensführung offen kommuniziert und die positiven Aussichten einer gemeinsamen Anstrengung des Wandels vermittelt werden, desto aussichtsreicher kann eine Mobilisierung aller benötigten Akteur*innen gelingen, desto erträglicher kann der Wandel gestaltet werden.

Eine nachhaltig gestaltete Digitalisierung spielt hier eine wichtige Rolle. Sie setzt aber eine Bildungsoffensive voraus, die erheblich gesteigert werden muss. Der Zukunftsrat begrüßt das Vorhaben für das Haus der digitalen Welt und hebt hervor, dass die Digitalisierung allein keine Lösung darstellt, sondern nur in Verbindung mit demokratischen, partizipativen, kreativen Prozessen und nachhaltigen Umgang mit allen Ressourcen die Transformation wirksam unter-stützen kann. Bildung in Technologie muss mit Bildung für Nachhaltigkeit (BNE) Hand in Hand gehen.

Schlussbemerkungen

Wir freuen uns über die Ankündigung, dass Hamburg eine Nachhaltigkeitsstrategie, ein Monitoringsystem und dazu notwendige Indikatoren entwickeln will. Die Entwicklung all dieser Komponenten sollte nach den Prinzipien des Open Government Partnership erfolgen, also in einem ko-kreativen Prozess mit der Zivilgesellschaft.

Wir wiederholen unsere Anregung, dafür zeitnah ein ressortübergreifendes Projekt – wohl eher ein längerfristiges Programm – aufzusetzen, das dies ermöglicht. Alle Indikatoren und deren Quelldateien sollten als FAIR Open Data kontinuierlich veröffentlicht werden. Die zahlreichen separaten SDG-relevanten Berichte sollten als „Views“ online abrufbar sein und für den Nachhaltigkeitsbericht (und ggf. andere Berichte) miteinander verknüpft werden.

Außerdem sollten die künftigen Nachhaltigkeitsberichte zusätzlich zu den qualitativen Beschreibungen und den Daten aus der Verwaltung auch die Sicht der Stadtgesellschaft wiedergeben, sowohl in Form von Stellungnahmen als auch in Form von Befragungen. So kann ein großes gemeinsames Transformationswerk zustande kommen.

Für weiterführenden Austausch stehen wir gern bereit.

Quelle: Zukunftsrat, https://www.zukunftsrat.de/inhaltliche-stellungnahme-zum-hamburger-nachhaltigkeitsbericht-vlr-2023/